Ich möchte diese drei besonderen Posts gerne hervorheben. Ich war beim Lesen sehr berührt von den inneren Kämpfen der Charaktere, der nicht aufgearbeiteten Vergangenheit Freiyas, die sie einzuholen droht, der tiefsitzenden Unsicherheit und Zerrissenheit Griffins, die er sonst mit einem Lächeln zu verbergen weiß und die tiefsten Hoffnungen und Ängste Ryus, dessen stoische Art sonst kaum Einblick in seine Gefühlswelt erlaubt. Ihr schafft es wirklich meine Seele zu berühren und seid die Axt für das gefrorene Meer in mir.


Zitat Zitat von Freiya Beitrag anzeigen
Was war das nur für ein Ort? Dieser Tempel war Freiya nie aufgefallen, aber eigentlich konnte man dieses Gebäude doch nicht übersehen? Aber wie sie bereits festgestellt hatte, war dieser Teil des Sumpfes ihr nicht so geläufig. Die Ereignisse hatten sich überschlagen, seit diese geheimnisvolle Frau die drei Jäger an diesen Ort geführt hatte, damit sie Zarra finden konnten. Onyx‘ Auftauchen war nur der (erfreuliche) Auftakt gewesen, dem das Erscheinen dieser Wolfskreatur gefolgt war. Etwas, das Freiya zunächst zutiefst erschreckt hatte, aber Ryus einfache Worte und Geste hatten sie beruhigt. Doch mit der Erklärung, dass diese Wolfsbestie Jadewolf war, hatten sich sofort wieder unendlich viele Fragen in ihrem Kopf gebildet, begleitet von einem unangenehmen Gefühl gegenüber dem Mann mit den Tattoos im Gesicht. Doch es war keine Zeit, sich über all diese Dinge Gedanken zu machen. Jetzt brauchte es den Fokus auf das, was da vor ihnen lag. Zarra schien gerettet, aber dennoch gingen sie in diese Tempelüberreste, um der Finsternis, die über den Mauern lag, auf den Grund zu gehen.

Onyx hatte sich so eben von ihnen verabschiedet und Ryu und Griffin steuerten auf den mittigen Turm zu, als der Angriff kam. Ryu und Griffin schienen es mit ihren übernatürlichen Sinnen schon gespürt zu haben, sie hielten mit einem Mal inne.
„Rücken an Rücken!“, gab Ryu das Kommando und bevor Freiya wusste, was geschah, waren die beiden Männer an ihrer Seite. Ryu hatte das Schwert gezogen, Griffin tat es ihm gleich und gerade als die Rothaarige sich ihnen anschließen wollte, ging ein Schwarm Fledermäuse auf sie nieder. Die Biester attackierten sie aus der Luft. Freiya zog schnell ihre Klinge nach oben. Eines der fliegenden Wesen flog über ihren Kopf hin und her, kurz betrachtete sie seine Flugbahn und stach dann dort zu, wo es hinfliegen würde. Sie erwischte das Vieh, doch bevor sie ihr Schwert wieder nach oben gezogen hatte, waren schon wieder zwei neue Fledermäuse da. Eine Klinge blitzte von ihrer rechten Seite auf, schnell und präzise. Zwei weitere der Angreifer landeten kopflos am Boden.
„Danke“, rief sie Ryu hastig zu, musste sich dann aber schon auf die nächste Attacke konzentrieren. Diese Viecher wollten ihnen die Augen auskratzen und versuchten sie zu verwirren. Doch Freiya hatte gesehen, wie Ryu die Klinge geschwungen hatte und so machte sie es ihm nach.
Sie ließ die Schwertspitze nach oben gerichtet und mit leichten, aber genauen Schlägen brachte sie die Fledermäuse von ihren Flugbahnen ab.
„DIESE FLIEGENDEN ARSCHGESICHTER!“, brüllte Griffin auf einmal zornig neben ihr, warf sein Schwert fort und packte eines der Viecher mitten aus der Luft im Flug. Dann schmetterte er es zu Boden. Anschließend ließ er ein wildes Brüllen hören, dass Freiya das Gefühl hatte, dass die Wände wackelten und der ein oder andere Stein im Gemäuer verschoben wurde.
Die Fledermäuse schienen durch das Brüllen in ihrem Flug gestört zu werden und sich mit einem Mal nicht mehr orientieren zu können. Freiya machte einige Schritte nach vorn und holte die Viecher aus der Luft, die ihr vor die Nase kamen. Dann plötzlich hielten die Tiere inne, als hätten sie einen Ton gehört, der für die Menschen nicht hörbar gewesen war. Augenblicklich flogen sie wieder zurück in die Mauern, aus denen sie gekommen waren. So schnell, wie sie gekommen waren, waren sie wieder verschwunden und es herrschte wieder Ruhe.
„Das waren Späher, ein Empfangskomitee“, brummte Griffin und hob ächzend sein Schwert vom Boden auf. Ryu wischte seine Klinge ab und schob sie zurück in die dafür vorgesehene Scheide.
„Wir werden beobachtet!“, knurrte er. „Seid vorsichtig.“
Zusammengerückt gingen sie weiter.

Die drei Jäger hatten sich nun endlich dem Turm genähert und kamen in eine Art Unterbau. Hier war es nicht mehr so weitläufig, sondern dunkle, enge Gänge lagen abweisend vor ihnen. Eine Gänsehaut überzog Freiya. Sie sollten nicht hier sein.
Ryu ging voran und bewegte sich lautlos wie furchtlos über das Gestein, Griffin ebenso, Freiya folgte ihnen, in beidem aber nicht so erfolgreich wie die beiden Männer.
Als sie an einem Seitengang vorbeikamen, in den noch etwas dämmriges Licht fiel, nahm sie plötzlich eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr. Etwas erschrocken blickte sie in den Gang.
Hatte sie da nicht eben eine Person gesehen?
„Wartet mal kurz bitte“, sagte sie und machte ein paar Schritte weg. Doch der Gang führte in nichts weiter als die Dunkelheit, hier gab es nichts zu sehen. Sie hielt inne und lauschte mit angehaltenem Atem. Außer einem steten Geräusch von Wassertropfen war nichts zu hören. Merkwürdig! Normalerweise konnte sie sich doch auf ihre Sinne verlassen …
Freiya wandte sich wieder um und wollte zurückgehen, als es mit einem Augenblick war, als würde sie gegen eine schwarze Wand laufen. Sie prallte an etwas ab und strauchelte nach hinten. In der Finsternis fand sie keinen Halt und plötzlich war da ein Abgrund, den sie vorher übersehen haben musste. Der glatte Stein unter ihren Füßen ging steil hinab und Freiya konnte sich nirgends festhalten, um ihren Sturz aufzuhalten. Sie rutschte in der Dunkelheit nach unten und landete schließlich mit einem dumpfen Geräusch in einer Grube.
Mit einem Schrecken aber sonst unverletzt rappelte sie sich etwas auf. Die Jägerin war in einem kleinen Raum gelandet, der von weit oben noch etwas dämmriges Tageslicht durchließ, sodass sie sich umsehen konnte. Auf dem Boden lag zerfallenes und verrottendes Laub, das ihren Fall aufgefangen hatte. Langsam erhob Freiya sich und klopfte sich den Dreck von ihren Sachen.
„R-Ryu? Griffin? Hallo?“, rief sie, während ihr der Schreck immer noch in den Gliedern steckte. Doch sie hörte keine Antwort. Hatten die beiden ihr Verschwinden überhaupt bemerkt?

Resigniert sah sie sich um. Saß sie in der Falle? Wie kam sie aus dieser Grube raus? Es schien keinen Ausgang zu geben als den Schacht, den sie eben herunter gerutscht war. Doch die Wände waren zu glatt, um einen Aufstieg zu versuchen. Verdammte Snapperscheiße. Ja, sie saß in der Falle! Noch einmal rief sie nach Ryu und Griffin. Lauter diesmal, auch verzweifelter, doch ihre Rufe hallten nur unangenehm an den Steinwänden wider.
„Sie hören dich nicht, Weib.“
Freiya erschrak fast zu Tode, als die Stimme sprach. Hektisch drehte sie sich um. Doch, da war niemand … oder? Zitternd bewegte sie sich ein Stück zur anderen Wand der Grube und da saß … ein Toter! Freiyas Herz wollte vor Schreck fast stehen bleiben! Da saß ein Skelett in einer Rüstung, neben seinen morschen Knochen ein Schild und ein altes, verrostetes Schwert.
Sie hielt sich die Hand an ihr wild klopfendes Herz und hatte die Augen geschlossen, während sie versuchte durchzuatmen. Es ist nur ein Skelett, versuchte sie sich zu beruhigen. Dann öffnete sie langsam wieder die Augen. Der Tote war noch da. Sie beugte sich langsam zu ihm, um ihn näher zu betrachten. Dem Gesamtzustand des Toten nach zu urteilen, musste er schon eine ganze Weile hier unten sitzen. Er schien nicht zum Waldvolk gehört zu haben, trug er doch eine volle Rüstung, statt der üblichen Kluft der Wächter, Jäger oder Waldläufer. Sein Brustpanzer zeigte ein auffälliges Emblem: eine rote Sonne auf schwarzem Grund.

Das war doch auch das Zeichen, das sie auf dem Banner gesehen hatten, den sie im Gebirge bei dem zerstörten Portal gefunden hatten! Und es gehörte … es gehörte zu einer Person. Freiya schlug sich die Hand gegen die Stirn und verzog das Gesicht. Erneut wollte sie sich in den Kampf mit ihren Erinnerungen begeben, war schon verärgert und resigniert darüber, dass es ihr damals nicht eingefallen war. Doch diesmal, ja, dieses Mal war es anders.
Das, wonach die Rothaarige im Gebirge noch so vehement gesucht hatte und was ihr Kopf ihr verwehrt hatte, das spülte es nun an die Oberfläche wie Treibgut, das lange im Meer umher geschwommen war … Bilder wirbelten vor ihrem inneren Auge umher und sie sah die Banner in einer Stadt – Stewark! – hängen. Jun war der Name des Mannes, zu dem diese Banner gehörten. Jun Qel-Dromâ. Sir Jun Qel-Dromâ, Fürst von Quasar und Streiter des Innos. Mit diesem Namen kam ein Gesicht. Und mit diesem Gesicht kamen Worte und noch mehr Erinnerungen. Sie sah sich plötzlich an einem Strand diesem Mann gegenüber stehen. An ihrer Seite der Schwarzhaarige, der in seinem Gesten klar machte, dass sie an seine Seite gehörte. Jun, der sich vor ihr verbeugte. Doch sie sah ihn auch, wie sie selbst (!) auf einem Pferd saß in einer schneebedeckten Landschaft und er ebenso auf einem Ross. Und sie sah ihn in einem Saal sitzen, wie auf einem Thron und wie er sie wütend anschrie.
„Oh Jun“, entfuhr es ihr grimmig und sie ballte die Faust.
„Du kennst mich also noch, unwürdiges Weib.“
Erneut war die Rothaarige einem Herzstillstand nahe. Sie drehte sich um und da stand … Jun.

Langsam erhob sie sich. Was war das für ein fauler Zauber? Da stand wahrhaftig eine Person vor ihr, die sie kaum zu erkennen vermochte in dem Zwielicht.
„Wer bist du?“, entfuhr es ihr.
Ihr Gegenüber holte Luft und ein Donnern ertönte:
„Das Gesetz! Dir steht es nicht zu, eine Waffe zu tragen. Dir steht es nicht zu unter Kriegern zu treten und zu sprechen! Dir steht es nicht zu, vor mir zu sprechen, Weib! Innos schuf die Ordnung und seine Ordnung ist Gesetz. Das Gesetz bin ich! Unterwirf dich der heiligen Flamme! Büße für deinen Frevel! Oder brenne im Feuer!”, donnerte die Stimme der Herrschaft und aus den Schatten loderten Flammen auf. Ein blendendes Licht umgab Jun, dass Freiya die Hände heben musste, um ihre Augen zu schützen. Hoch gerüstet und mit edler Haltung, wie ein legendärer Paladin mit flammenden Schwert stand Jun da. Er hob sein Schwert, fixierte Freiya mit seinen zornigen Augen und hielt sich bereit, sie zu richten. Erschrocken wich die Rothaarige einen Schritt zurück, hatte aber schon die Mauer im Rücken. Entsetzen machte sich in ihr breit, dann schüttelte sie ungläubig den Kopf. Doch bevor die Wut über das, was er gesagt hatte, sie zu etwas Unklugem hinreißen konnte, versuchte sie sich zu beruhigen. Gegen diesen gerüsteten Hünen mit seinem Flammenschwert hatte sie keine Chance hier. Nicht allein.
„Verdammt, RYU!? GRIFFIN?!“, schrie sie mit einem Hauch Panik in der Stimme. Sie konnte die Hitze, die von ihm ausging, spüren.
„Du fürchtest das Feuer, weil du schuldig bist! Du fürchtest die Strafe, weil du nun die Strafe selbst ertragen musst“, sprach er zornig. „Innos ist nur bei den Mutigen! Bei jenen, die da sich für andere erheben! Doch du! Ein Weib wie du bist – schwach und abhängig! - Bist nicht mutig! - Andere bluten, kämpfen und streiten für dich! Du stehst nur dabei und erhebst den Anspruch zu kämpfen. Doch bist du nicht dafür geschaffen, Weib.“
Dann packte er sie mit seinem behandschuhten Arm und zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen.
„Sieh genau hin und sieh ihren Zorn, ihre Wut, ihre falsche Vorsicht! Das bewirkst du, Weib! Ihre Gefühle manipulierst du und machst sie schwach. Sie spüren deine Schwäche, die ihre Schwäche wurde und erkennen, dass Innos recht hat. Du bist nichts und machst diese Männer zu nichts! - Siehst du deine Schuld? Sie werden wegen dir sterben. Sieh genau hin, was Innos dir zeigt!“, sprach Jun kreiste einmal mit dem flammenden Schwert und offenbarte Freiya einen Blick in andere Gänge des Tempels.

Da war Griffin, wie er nach ihr suchte und die Gefahr hinter ihm nicht nahen sah. Er spürte nicht, er sah nicht, er hörte nicht, was da auf ihn wartete. Immer wieder rief er Freiyas Namen, bis er ein plötzliches und schreckliches Ende fand, als ihn ein dunkler Schatten rücklings durchbohrte.
„Ich wollte doch nur Zarra retten, nicht Freiya“, waren seine letzten Worte.
„Siehst du das, Weib? Sieh genau in seine Augen! Sieh den Wunsch, noch zu leben, noch zu lieben und zu beschützen. All dies verloschen, weil er nach dir suchen musste!“
Freiyas Knie wurden schwach.
„Nein“, wollte sie sagen, doch ihre Stimme brach bereits und sie wandte sich in seinem brutalen Griff.
„SIEH HIN!“
Nun war da Ryu. Sie sah, wie er erbittert kämpfte und korrumpierte Wesen erschlug. Eine Bestie nach der anderen. Tapfer und mutig wie ein Paladin, aber in seiner doch so eigenen Art. Doch auch ein Hayabusa war an weltliche Grenzen gebunden und wurde letztendlich von der schieren Flut an Gegnern zerschmettert. Die Legende, der große Krieger des Waldvolkes in irgendeinen verlassenen Tempel, durchbohrt von Klauen und Zähnen irgendwelcher unwürdiger Kreaturen.
„So verstirbt Ryu Hayabusa, Held des Waldvolkes und legendärer Hüter. Auf der Suche nach Frejya die sich nicht selbst retten konnte. Das sind sie mit dir, verfluchtes Weib! Das ist ihr Schicksal! Du machst sie schwach. Schwächlinge gehören von Innos‘ Antlitz getilgt. Knie nieder in den Dreck, in den du gehörst.“
Er ließ sie los, stieß sie zu Boden und hob das Schwert. Mit einem Glühen in den Augen ließ er seine Klinge auf sie niedersausen. Freiya hob noch ihre Arme, doch sie hatte keine Chance mehr.

Doch dann – mit einem Mal – war es finster. Und still.
Erst nach ein paar Augenblicken wagte Freiya es sich zu rühren. Was war geschehen? War sie gestorben? Die Szenerie war wieder so, als wäre Jun ihr nie erschienen.
Heftig atmend blickte sie sich um. Was bei allen Göttern war das gewesen? Erst langsam begannen ihr Herz und ihr Atem sich zu beruhigen. Dafür fing sie leicht an zu zittern.
Was nun?
Sie saß immer noch am Boden. Immer noch in der Falle. Wie kam sie hier nur wieder raus? Würden Ryu und Griffin sie finden? Sollte sie noch einmal rufen?
Nein.
Nein. Das würde sie nicht tun. Das konnte sie nicht tun. Juns Worte … hatten einen empfindlichen Punkt in ihrer Seele getroffen. Er hatte Recht, Ryu und Griffin brauchten Freiya nicht. Sie waren besser dran ohne sie. Sie waren stark. Sie hatten ihre Werte, die sie verteidigen würden. Die beiden Jäger waren die besten Kämpfer, die Freiya je gesehen hatte. Ricklen hatte es gewusst und es auf seine Art und Weise sagen wollen, dass sie in ihren Reihen nichts verloren hatte.
Sie hatte gesehen, zu was die beiden fähig waren. Was sollte sie da schon ausrichten, außer die beiden vielleicht in Gefahr zu bringen?
Eine bittere Erkenntnis.
Als junges Mädchen hatte sie sich, geschlagen und geschunden auf nicht mehr als etwas Stroh unter Berlewins Tisch, bei weitem nicht so einsam gefühlt wie in diesem Moment. Damals hatte sie es nicht anders gekannt. Nun aber hatte sie Zuneigung erfahren. Geglaubt zumindest, das gespürt zu haben. Dass sie gemocht wurde, so, wie sie war.
Das schmerzte mehr als alles, an was sie sich erinnern konnte und ihr je zugestoßen war.

Sie zog die Beine ran und legte ihre Arme darum, um ihr Gesicht zu vergraben. Dann fing sie an zu weinen.
Allein.
In der Dunkelheit.
Und nie hatte sie sich verlassener gefühlt.
Zitat Zitat von Griffin Beitrag anzeigen
Seit Minuten bereits suchten Ryu und Griffin mit wachsender Panik die Teile der Ruine ab, in der sie bereits gewesen waren. Keiner der beiden hatte das Verschwinden von Freiya bemerkt. Es war, als sei sie von jetzt auf gleich von der Dunkelheit selbst verschluckt worden. Kein Flügelschlag, kein erschreckter oder erstickter Schrei, keine Schritte, kein einbrechender Fußboden - nichts. Der Rotschopf war von dem einen auf den anderen Augenblick einfach verschwunden. Die beiden Krieger waren die denkbar schlechtesten Ansprechpartner, wenn es um die streng gehüteten Geheimnisse der Druidenmagie ging, aber sie hatten bisweilen zumindest den Hauch von etwas verspüren können, wenn Magie in ihrer Gegenwart gewirkt worden war. Aber im Halbdunkeln dieser von allen Göttern verlassenen Ruine fand sich absolut gar nichts, was auf den Verbleib Freiyas hätte hindeuten können. Weder magisch noch natürlich noch monsterlich.

»Nichts.« Er schüttelte den Kopf und wandte den Blick zu Ryu, der gerade eine der Ruinen umrundet und dort nach Hinweisen gesucht hatte. Ganz offensichtlich ohne Erfolg. Der ehemalige Hüter spürte, wie erneut das winzige bisschen Hoffnung, das er in seinem Inneren gehegt hatte, starb. Nach jeder Kurve, hinter jeder Ecke und jeder zerfallenen Mauer hoffte er, eine Spur auf die rothaarige Frau finden zu können, aber jedes einzelne Mal wurde er enttäuscht.

»Das ist alles deine Schuld, du Vollidiot!«, raunte der Hayabusa ihn an. Wütend trat er gegen einen Stein, der leise Klackernd in der Dunkelheit verschwand. Das Orange seiner Augen flackerte auf, als er den Blick zu Griffin wandte. Verwundert blinzelte dieser und sah verdutzt sein Gegenüber an. Es brauchte einige Augenblicke, bis er sich der vollen Tragweite der Worte seines ehemaligen Lehrmeisters gewahr wurde. »Was ich kann ich denn jetzt dafür?«, fragte er sichtlich verdattert. Die Überraschung verlieh seiner Stimme einen deutlich schrofferen Ton und mehr Nachdruck als ihm lieb gewesen war. Er versuchte sich zu beruhigen und hob beschwichtigend die Hände. Der Verlust von Freiya wog schwer und er war sich sicher, dass es für Ryu noch deutlich schwieriger sein musste, Freiya in der Dunkelheit allein und verloren zu wissen. Er atmete tief durch. »Wir werden sie finden.«, sprach er beruhigend und lächelte dem Hauptmann zu. »Freiya ist eine-«
»Fass mich bloß nicht an!«, spie Ryu ihm förmlich entgegen, als Griffin ihm die Hand auf die Schulter legen wollte. »Und was ist Freiya, hm?« Der Hayabusa funkelte ihn düster an. Zorn flammte in seinen Augen fast so hell wie das, mit dem der Hüter sich den Körper teilte. »Was weißt du schon von Freiya?« Der Schwertmeister zog die Augenbrauen zusammen und musterte Griffin von oben bis unten. Die Art und Weise, wie er das tat, gefiel ihm ganz und gar nicht. »Sag schon, was weißt du über Freiya? Oder über mich? Oder über irgendwen aus dem Waldvolk?« Ryu redete sich in Rage. Griffin wusste, dass die Worte seines ehemaligen Lehrmeisters aus Sorge heraus geboren waren. Er spürte die Verletzlichkeit des Mannes hinter den Worten. Aber das änderte nichts daran, das jedes einzelne Wort eine offene Wunde noch weiter aufriss, die er zu bandagieren nicht imstande gewesen war und stattdessen verborgen hinter einem warmen Lächeln und freundlichen Worten getragen hatte.
»Ryu, ich weiß, da-«
»Nichts weißt du.« Der Hayabusa kam Griffin gefährlich nah. »Du warst nicht da. Du weißt gar nichts. Woher sollst du es wissen?« Mit jedem Wort tippte der Hüter Griffin mit dem Zeigefinger auf gegen die Brust. »Du hast dich jahrelang nicht blicken lassen. Das Waldvolk hat die schlimmsten Jahre durchgemacht und du bist einfach weggelaufen.« Mit beiden Händen schubste der Hayabusa seinen Waffenbruder nach hinten. »Wir hätten deine Hilfe brauchen können. Verdammt, ich hätte dich gebraucht.« Wieder schubste Ryu Griffin nach hinten. »Bruder.« Er spuckte aus. »Dass ich dich einmal so genannt habe.« Der Hayabusa hob erneut die Arme und war im Begriff erneut zuzustoßen.
»Beruhig dich!« Griffin kam ihm zuvor und packte Ryu am Kragen. Die Gesichter der beiden berührten sich fast und er konnte spüren, wie die beiden Bestien im Inneren sich anzufauchen begannen. »Wir werden sie finden, Bruder.«, versprach er dem Hayabusa. Der Griff um die Kleidung lockerte sich und er strich ihm vorsichtig die Kleidung glatt. »Wir werden sie fi-«

Der Schlag traf Griffin gänzlich unvorbereitet und er taumelte einige Schritte zurück. Mit dem Handrücken rieb er sich über die schmerzende Lippe und als er sie wieder wegzog sah er Blut. Das war keine Ohrfeige und kein einfacher Schlag gewesen. Ryu hatte zugehauen. Ohne jegliche Zurückhaltung.
»Mach das.« Er zwang sich dazu, die Augen zu schließen und durchzuatmen. »Nicht. Nochmal.«
Ryu funkelte ihn herausfordernd an.
»Sonst was, Griffin Er spie den Namen des Braunhaarigen förmlich aus, als sei es ein Fluch, mit dem er sein Gegenüber bedenken wollte. »Hm? Wirst du sonst böse? Was glaubst du denn, was du ausrichten kannst? Du hast die letzten Jahre gesoffen, geraucht und gefressen. Du bist ein widerlicher Schwächling. Nutzlos. Du bist nicht nur der schwächste Ast im Baum, du bist ein widerlicher, wuchernder Pilz. Du befällst alles und jeden um dich herum. Du ruinierst alles, was du anfasst.« Das Herz des ehemaligen Hüters fror ein. In seinem Innersten machte sich ein Gefühl so tiefer und schier endloser Leere breit, das er fürchtete, sich übergeben zu müssen. Seine Sicht verschwamm.
»Ryu, wa-«
»Nichts Gutes lässt du zurück. Egal, was du berührst. Nichts!« Wie angewurzelt blieb er auf einer Stelle stehen. Unfähig, sich zu bewegen. Unfähig, etwas zu erwidern.
»Du machst alles kaputt.«, setzte Ryu nach. »Freiya.« Er kam einen Schritt näher. »Silden.« Der Hauptmann Tooshoos stand jetzt direkt vor ihm. »NaShir.« Griffin war nicht imstande, irgendetwas zu tun, als der Handrücken des Kriegers seine Wange traf. »Ornlu.« Griffin spuckte Blut. »Mich.« Ein weiterer Schlag mit dem Handrücken traf ihn.

Dann herrschte Stille.
Er spürte das Pulsieren des Bluts in seinem Gesicht.
Und er schmeckte den metallenen Lebenssaft auf seinen Lippen.
Ryu hielt einen weiteren Augenblick lang inne.
Die Stille war erdrückend.
Der Braunhaarige wagte es nicht, den Blick zu heben.
Ryu legte ihm die Hand auf die Schulter.
Und bohrte seine Finger in das Fleisch des Südländers.

»Myra.«

Der Faustschlag in die Magengrube traf Griffin fast so hart wie die Schwere des Namens.

Er hatte keine Lust mehr, zu versuchen, auf den Beinen zu bleiben, also ließ er sich rücklings auf den kalten Steinboden fallen. Die Dunkelheit umfing ihn und er konnte ob der Tränen in seinen Augen Ryu kaum erkennen.
Er streckte erschöpft und vollkommen energielos die Arme und die Beine von sich.
Sein Mund wurde trocken und er spürte selbst im Liegen den leichten Tremor seiner Hände. Was würde er jetzt geben für einen Schluck Alkohol.

»Verschwinde!«, schrie ihm der Schwertmeister entgegen, der sich rückwärts von ihm entfernte. »Lauf einfach wieder davon. Lass uns alle zurück.«, spie er Worte so scharf wie Dolche. »Aber tu mir den Gefallen und bleib diesmal wenigstens für immer weg.«
Zitat Zitat von Ryu Hayabusa Beitrag anzeigen
Absolute Stille herrschte in dem alten Gemäuer. Lediglich das leise herabrieseln einiger kleiner Steine und des Staubes in einigen Ecken unterbrach jene Stille. Selbst das kaum wahrnehmbare, sonst so charakteristische und subtile Dröhnen solcher Gemäuer schien weit entfernt. Es ging kein Wind. Kein Lufthauch. Kein Zeichen von Leben. Keine Spur von Unleben. Stille. Unendliche. Betäubende. Stille. An sich etwas so seltenes, dass Ryu sie genossen hätte... Wäre ihnen Freiya nicht abhanden gekommen. Aber hier... An diesem Ort und unter diesen Umständen war von Genuss keine Rede. Die beiden Hüter waren nun schon eine Weile durch die Ruinen geirrt, auf der Suche nach ihrer rothaarigen Begleiterin. Beide mit wachsender Sorge. Doch ohne Spur... Ohne Note von ihr die in der Luft hing war es vergebens, durch dieses Labyrinth zu eilen und die eigenen Kräfte aufzuzehren. Nach einigem hin und her hatten sie dann beschlossen, einen Moment der Ruhe zu finden. Sie waren sich einig, hier nichts zu spüren oder mit ihren Sinnen zu ertasten. Vielleicht, weil sie zu sehr in Eile waren. Vielleicht auch der Erschöpfung wegen. "Also gut, ich hoffe das klappt!", gab Griffin zu verstehen, während Ryu sich auf die übliche Art und Weise abkniete und die Augen schloss. "Halt mir einfach den Rücken frei...", entgegnete der Templer dann und begann damit, seinen Geist von allen Gedanken zu befreien. Der Plan war gewesen, sich völlig auf die Umgebung zu konzentrieren und den eigenen Geist zu öffnen. Den Sinnen freien Lauf zu lassen um auch nur die kleinste Spur von irgendetwas wahrzunehmen. Und so geschah es auch: Jene Stille die sie umgab machte sich auch bald im ganzen Wesen des Hayabusa breit.

Er lauschte, doch niemand rief. Er roch, doch war dort keine noch so kleine Note. Er fühlte, doch stellte sich kein Härchen in seinem Nacken. Er schmeckte, doch war es nur der sachte umhertanzende Staub, gemisch mit modriger, abgestandener Luft des Sumpfes den er wahr nahm. Selbst die vorsichtigen Schritte seines Begleiters drifteten irgendwann in die Ferne ab. Wurden von der Stille verschlungen und... Dann waren sie fort. Hatten ihn die Kämpfe der letzten Tage wirklich so sehr ausgezehrt, dass seine Sinne ihm einen Streich spielten? Nein, auf sie war immer Verlass gewesen! Immerhin waren sie bereits ausgeruht und mit vollem Magen los gezogen um Zarra zu retten. So eine Rast hatte für gewöhnlich ihren Dienst getan und ihm die nötige Stärke verliehen, weiter zu machen. Und doch...

"Bitte... Ryu..."

Eine Stimme, weit entfernt drang aus den Gewölben an die Ohren des Hüters heran. Mit einem mal öffnete er die Augen und sprang auf. "Ich hab' wa... Griffin? Scheiße, das is' nich' witzig!". Der bullige Südländer war nirgendwo zu sehen. Weder links, noch rechts. Weder vor, noch hinter ihm. Auch hing er nicht an einer abgebrochenen Deckensäule oder dergleichen. Hatte ihn etwa dieselbe Spur fort gezogen? Aber warum seinen Waffenbruder dann zurück lassen? Ein seltsames Gefühl überkam den Hayabusa, als er sich diese Fragen stellte.

"Hilf mir..."

Ein jäher Schmerz zuckte blitzartig durch die Schläfen und ließ Ryu zusammen fahren. Diese Stimme... Woher... Eine Falle? Vielleicht? Aber was, wenn... Und Griffin? Entscheidungen mussten fallen. Doch, indem er wie von automatisch hastigen Schrittes los lief, musste davon schon nichts mehr getroffen werden. Der Südländer war ohnehin verschwunden, ohne auch nur eine Spur hinterlassen zu haben. Was nicht bedeutete, dass sein Freund sich nicht um ihn sorgte. Doch, gemessen im Vergleich zwischen Griffin und Freiya war sich der Templer ziemlich sicher, dass letztere, wenn es hier eine Gefahr gab, eher auf Hilfe angewiesen war. Und wer wusste schon, vielleicht war der Hüter ja wirklich bereits vor geeilt in der Hoffnung, zur Abwechslung einmal Ryu etwas Zeit zum Ruhen zu geben. Aber... Würde er so etwas tun? Das sah ihm nicht ähnlich... Vielleicht ein Grund mehr, jener Stimme in die Tiefe zu folgen. Doch wo der Hüter gerne leise aufgetreten wäre, schien keien Art des Fußabrollens, kein vorsichtiger Auftritt sein übriges zu tun, seine Schritte zu dämpfen. Jedes mal, wenn er den Fuß aufsetzte knarrten Kiesel und Felsreste unter seinen Füßen und erfüllten damit jene verwinkelte Korridore denen er folgte... Es hatte keinen Wert. Schleichen war hier keine Option, also konnte er sich diesen Kraftaufwand zugunsten von Geschwindigkeit beim durchqueren des Komplexes sparen.

"Komm mich holen... Bitte..."

Jene Stimme in den Tiefen... Ein jedes mal wenn sie an seine Ohren drang klang es, als bohrte sich etwas in sein Herz. Ein feiner, länglicher Nagel an dem Stränge hingen die bis zu seinen geistigen Erinnerungen reichten. Das konnte nicht... Durfte nicht! Vielleicht war es wirklich Freiya, die dort rief, aber... Dafür unterschieden sie sich zu sehr in ihrem Klang. Würde man Stimmen mit Worten beschreiben, so war die seiner Schülerin und Jagdbegleiterin mehr die eines lauen Abends im Spätsommer. Wenn man durch die ersten herab gefallenen Blätter schlenderte und einen angenehmen Luftzug aus den Bergen in Gesicht und Haaren spürte. Das Gefühl von Fernweh und Abenteuerlust. Aber die Stimme aus der Tiefe? Wie der süße Tropfen Wein auf den Lippen den man an einem heißen Sommertag an einem Fluss genoss. So... Vertraut...

Die Korridore erstreckten sich über viele Abzweigungen, Biegungen und Pfade. Teils verfallen, teils so überwuchert, dass man dachte, man würde durch das Innere eines Labyrinths aus Pflanzen wandern. Immer wieder zeigten sich dabei bekannte Abbildungen alter Reliefs die Ryu schon desöfteren gesehen und deuten gelernt hatte. Doch waren sie alle anders als jene in der Kultstätte der Wyvern-Anbeter... Und irgendwie auch nicht. Am Ende waren es einzelne Details die sich dort wieder spiegelten: Im großen Kampf um Silden war kein Held zu sehen, der dem Hayabusa ähnelte. Eine andere Figur, mit Bogen und Speer. Bärtig, hochgewachsen und von südländischem Teint. Es gab kein Bildnis über eine Verbindung von Wyvern und Jäger. Stattdessen war es die unendliche Schwärze in der die besiegte Kreatur einging. Für alle Zeit vergessen und verloren. Bei dieser Betrachtung füllte sich das Herz des Hüters mit einer seltsamen Schwermut und Traurigkeit. Ein Gefühl von Verlust und Bedauern, das noch bestärkt wurde, als ihm die nächsten Bildnisse unter die Augen kamen: Ein großer Baum, umringt von vielen Menschen. Auf seiner blattlosen Krone jener Krieger stehend. An seiner Linken eine weibliche Figur mit acht Armen. Zwei davon um den Arm des Kriegers gelegt der triumphierend den Bogen gen Himmel reckte. An seiner Rechten eine weitere, hoch gewachsene Gestalt, das Gesicht verborgen unter einer hölzernen Maske die ihm nur zu bekannt vor kam. Und um die drei herum noch einmal drei kleinere Menschen die zu ihnen aufblickten und lachten. Und am Fuße des Baumes weitere Leute. Kniend. Betend. Dankbar dafür, dass ihr Erlöser sie befreit hatte. Dieses Bildnis war neu... Diese Form der Unterwerfung... Ein kalter Schauer lief über den Rücken des Templers. Wären die Dinge so ausgegangen, wäre er nicht vor Ort gewesen? Damals? Wäre einfach ein anderer gekommen und hätte Sarkany erlegt? Wäre das Waldvolk diesem Abbild eines Helden gefolgt, sogar auf die Knie gegangen vor ihm? Was war diese Frau mit den vielen Armen? Warum lagen all ihre Gesichter unter schattenhaften Schraffierungen? Natürlich... Reliefs... Kryptische Vorhersehungen und das alles... Vielleicht alternative Deutungen? Es half nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Also ging marschierte der Templer weiter, immer zu der Stimme lauschend die mit jeder Biegung und jedem Portal das er durch schritt deutlicher wurde. Und schwerer auf seiner Seele zu lasten drohte.

Es mussten Stunden vergangen sein. Vielleicht Tage? Das Zeitgefühl in diesem Irrgarten menschlicher Schaffenskunst schien sich gänzlich zu verlieren. Selbst das Sonnen- oder Mondlicht, wer konnte das schon feststellen, schaffte es nicht, durch die teils eingestürzten Dächer und Wände zu dringen. Aber war die Oberfläche überhaupt noch erkennbar, oder führten des Hüters Schritte ihn schon seit langem wieder durch die Gewölbe des Weißaugengebirges? Alles was er wusste war, dass er alleine war. Wie schon so oft. Jagend nach einer Stimme die mit jedem Ruf eine weitere Narbe auf seinem Herzen zu öffnen vermochte. "Fast wie damals...", entwich es dem Templer schließlich in seltsamer Resignation. Auch damals hatte er gesucht. Noch für Tage und Wochen, als die anderen schon aufgegeben hatten. Einsam und allein in den Sümpfen in der falschen Hoffnung, sie retten zu können. Doch dazu war es nie gekommen. Wie schon viele Male zuvor. In dieser Hinsicht gab es einfach keinen glücklichen Ausgang. Aber... Vielleicht doch? Nur dieses eine Mal? Ryu hielt inne. Endlich spürte er etwas, das sich nahe seines Fußes zurück zog. Schlangenartig aber viel weniger... Wendig. Eher wie ein behäbiger, nasser Schlauch der durch den Gang gezogen wurde. Hin zu etwas... Größerem... Etwas, das sich organisch und langsam zu bewegen schien. Und dann nahm er es wahr: Unscheinbar und schwach. Und doch so fest verankert in seiner Erinnerung wie kaum ein anderer Duft... "Kirsch... Blüten..."

Ohne zu zögern ergriff der Templer seine Klinge und trat ein, in den stockfinsteren Raum. Doch kein Training und keine Meditation der Welt hätten ihn darauf vorbereiten können, was dort auf ihn... Lauerte. Ein rotes Pulsieren leuchtete einmal bedrohlich entlang der Wände, Decke und des Bodens auf. Hin zur Mitte, gegenüber des Einganges in die Halle. "Du... Du bist hier... Ryu...". Es bestand kein Zweifel... Unruhig wanderten die Wyvernaugen durch den Raum. Erst als das abgeklungene Pulsieren einmal mehr auf glomm, dieses mal kontinuierlicher ohne den Raum wieder in Dunkelheit zu tauchen, konnte der Hüter es mit Bestimmtheit sagen. Dieses Gefühl übermannte ihn. Ließ die Spannung in seinem Kiefer aufs Äußerste erstarren. Seine Lippen zitterten unruhig und die sonst so lauernden Augen starrten erfüllt von Terror auf jenes Gebilde, das sich ihm dort gerade auftat.

"M-Myra..."

Vor ihm wucherte ein groteskes Gebilde einer von Fäulnis erfüllten, schwärzlichen Wurzel. Gespickt mit Dornen und durchzogen von jenen rot pulsierenden Linien die die Halle schwach erleuchteten. Und sie hatte sich bereits überall mit ihren Ausläufern in der großen Säulenhalle ausgebreitet. Wie ein Krebsgeschwür das vor Verderbnis nur so strotzte. Und in dessen Herzen, umschlungen von einigen kleineren, armdickeren Wurzeln an Armen, Bauch und Hals, saß die ausgemergelte Gestalt einer Frau die er schon lange totgeglaubt, doch nie aufgegeben hatte. Myra... Nach all den Jahren... Wie lange war sie hier schon gefangen? Wie hatte sie überlebt? Wie... Wie... WIE?! All die Selbstdisziplin und stoische Geduld des Hayabusa bröckelte mit einem Mal, als traf eine Spitzhacke in ihrem finalen Schlag auf einen Felsen der aufgab und schließlich zerbarst. Gerade noch halbwegs bei Sinnen steckte er seine Waffe zurück in die Schwertscheide und machte ein paar große Schritte und Sprünge an den Wurzeln hinauf, hin zu seiner verschollenen Weggefährtin. Sie lächelte schwach... Es musste nicht erwähnt werden, dass sie in einem beklagenswerten, äußeren Zustand war: Die Augen geschwärzt und fast in einer Einheit mit dem schmutzigen Gesicht unter dem an nur wenigen Stellen ebenso dunkle, schwarze Schlieren zu sehen waren, die entweder den Giften dieser Wurzel geschuldet waren oder den vielen Tränen die sie vergossen haben musste. Mit beiden Händen umfasste der Hüter ihre Wangen. Den Blick der einstigen Zofe der Sumpfkaiserin suchend. Sie fühlte sich kalt an... Der Duft der Kirschblüten hing nur noch schwach an ihr, doch war er unverkennbar. "Myra... Was... Was haben sie...". Ryus Stimme überschlug sich in einer Mischung aus Entsetzen und Sensation. Aus Angst und Hoffnung.

Wie sich die Spinnen-Hüterin trotz der Strapazen ein Lächeln abringen konnte, während dunkle Tränen über ihr eingefallenes Gesicht rollten wirkte fast schon wie ein seltsames Wunder. "Endlich hast du mich gefunden... Ryu... Bitte... Befrei mich...", doch Ryu deutete ihr an zu schweigen und zog stattdessen sein Schwert. "Myra... Ich... Warte... Ich hol dich da raus... Ich..." vergeblich packte er nach einer der Wurzeln und zog daran... Nur rührte sie sich nicht. Ein Raunen ging durch das widerwärtige Gewächs, als verspottete es das schwächliche Zerren und Reißen des kleinen Käfers der dort versuchte Unruhe zu stiften. Doch das sollte sich ändern, als der Hüter ohne viel Geduld seine Waffe zog und ausholte. Was er allerdings nicht wusste war das Ergebnis, als die Schneide mit einem gewaltigen Schnitt in das faulige Holz eindrang. Das gesamte Gemäuer begann zu beben und Myra entwich nur ein gepeinigter, schmerzerfüllter Schrei. Japsend, mit stockendem Atem und einem Stein erweichenden Flehen im Blick schüttelte sie nur den Kopf. "Nein... Nein, bitte nicht... Es tut weh! Ich... Ich flehe dich an... Bitte nicht! Ich... Ich spüre seine Schmerzen... Bitte nicht... Ryu... Hör... Hör mir zu..."

Noch bis eben völlig erschrocken und zusammen gezuckt hatte Ryu mit einem Mal die Klinge aus der blutenden Wurzel heraus gezogen und in den Raum befördert. Dieser Schmerzensschrei der einstigen, grünhaarigen Trägerin seines Herzens war in ihn eingeschlagen wie ein Blitz der eine Trauerweide spaltete. Wieder umfasste er ihr Antlitz mit beiden Händen. Es musste doch einen Weg geben! Er konnte sie doch so nicht erst wieder finden, nur um sie dann an dieses verderbte Wurzelgemüse verlieren. Die Lippen der Hüterin zitterten leicht. Ihre Augenlider flatterten... Sie war so schwach... So zerbrechlich... "Dieser Ausläufer... Gehört Tooshoo... Meine... Die Spinne... Hat mich...", ein trockener Husten unterbrach ihren Satz. Ryu strich ihr ein paar Strähnen zurück, deutete ihr an, ihre Kräfte zu schonen. "... Sie hat mich hier her geführt... Sagte, das Blut... Das Blut eines Hüters könne sie reinigen... Aber ich... Ich kann nicht mehr... Ich fühle mich so schwach... So... Ungenügend... Ryu...", als wären diese Worte, die erklärten wo sie über all die Jahre gewesen war nicht schon genug gewesen... Das Wissen, wie sehr sie sich aufgeopfert hatte für Menschen auf die sie dereinst herabsah... Etwas in der Brust des Schwertmeisters zerbrach unweigerlich, erlitt jedoch bei ihren nächsten Worten den Gnadenstoß. "... Ich sterbe..."

Ryu stand da wie versteinert. Jedwede Kraft schien ihn in diesem Moment zu verlassen. Sein Blick senkte sich von den schwarzen Augen seiner Liebsten hinab auf das pulsierende Wurzelfleisch. Es zog seine Energie also aus einem Wirt... Und versuchte sich zu reinigen... Ja... Das Pulsieren ergab Sinn... Es erinnerte den Hayabusa an den Herzschlag einer sterbenden Person die nicht aufgeben wollte, jedoch wusste, dass sie früher oder später den Kampf verlieren würde. "... Was ist mit den Druiden? Ornlu wüsste sicher...", aber Myra verneinte nur mit dem bisherigen, schwachen Lächeln. "Nein... Bis... Er war hier... Der Wolf... Und ließ mich zurück... Er hat gesehen, dass... Dass ein Hüter diesen Ort... Reinigen... Sich opfern muss... Aber mein Blut... Nicht stark... Genug..."

Dem Templer entglitt das Gesicht. Unkontrolliert zuckten seine Brauen zusammen. Die Augenlider hoben und senkten sich und sein ganzer Körper begann zu zittern. Hätte Ornlu die Dinge wirklich so einfach auf sich ruhen lassen? Warum hatte er nicht bemerkbar gemacht, dass sie hier war? War er wirklich so... Erkaltet? Hätte er das, was seinem besten Freund am liebsten war so zurück gelassen? Und wo, verdammt nochmal steckten Freiya und Griffin? Warum war denn niemand hier? Warum half zur Abwechslung mal niemand IHM!? Er sank auf die Knie. Die Hände auf die dunkle Rinde gelegt. Sie hatten sich endlich wieder... Aber wer hätte sagen können, dass es SO hatte stattfinden sollen? Das langersehnte und fast schon aufgegebene Wiedersehen... Alles fühlte sich so unglaublich schwer an. Jenes Gewicht, dass der Hüter schon seit Jahren auf seinen Schultern getragen hatte drohte nun, ihn mit all seinem Gewicht unter sich zu begraben. All die Jahre... Die Freiheit, die er auf ihre Kosten hatte genießen können... Das Leben... Das Essen... Trinken... Wind in den Haaren und die Sonne auf der Haut... Während sie, für die er all dies geopfert hätte hier unten langsam verrottete und gegen das ankämpfte, was er nur an der Oberfläche gesehen hatte... "Ich... Mach es wieder gut... Ich... Muss dafür gerade stehen...". Hinter den Schläfen des Kriegers schmerzte es dumpf, als er sich erhob und seinen Dolch zog. Die Wyvernaugen leuchteten nur schwach, als sie dem einstigen Sumpfgrün begegneten, welches ihn nun in tiefer Schwärze anfunkelte. Getränkt von Bedauern und Schuld lächelte der Templer nur, als er die Klinge über seine linke Handfläche führte. Der scharfe Schmerz der dabei entstand wurde innerhalb weniger Sekunden von der Wärme des austretenden Blutes umrandet. "... Du warst so tapfer, Myra... Mein Herz. Meine Gefährtin. Meine Liebe. Aber jetzt... Ist es an der Zeit, dass du Frieden findest. Dass jemand für dich übernimmt.".

Myras Augen weiteten sich, als die ersten Tropfen des roten Lebenssaftes auf die Wurzeln tropften und diese mit jedem weiteren wilder zum Pulsieren brachten. Als hätten sie im Nu das Interesse an ihrem Wirt verloren, lösten die faligen Holzarme langsam den Griff um die einstige Adlige und entließen sie sanft in die Arme ihres Geliebten. Das Wissen, sie nun frei zu sehen rechtfertigte den Entschluss den er getroffen hatte. Noch reagierte das korrumpierte Geschwür nicht. Zumindest nicht, solange es sich an dem frischen, reinen Blut des Hüters labte. Nicht, solange er auch nur ansatzweise mit ihm in Kontakt stand. Was gerade dazu reichte, sie die großen Ausläufer hinab zu tragen und seine Stirn noch einmal gegen ihre zu lehnen. "Du hättest nicht... Das war nicht...", doch der Templer lächelte nur traurig, deutete ihr an zu schweigen. "Finde Griffin und Freiya. Und danach bring die Druiden hier her... Ich halte solange...", die erste Wurzel schlang sich bereits um seinen Arm. Gefolgt von der herannahenden zweiten. "... Die Stellung..."

Dann würde die Wacht nun also beginnen... Wie zuvor Myra umgriffen ihn die hölzernen Ketten um Arme, Hüfte, Bein und Hals... Spitze Dornen bohrten sich dabei ins sein Fleisch und er spürte direkt, wie das faulige Herz von Tooshoos Ausläufer zu pulsieren begann und gierig an ihm zu zehren begann. Zwar versuchte er dagegen anzukämpfen, doch hatte er noch nie so einen schraubstockartigen Griff um sich gefühlt der auch noch tiefere Wunden riss, so sehr er sich wehrte. Doch er würde standhalten... Würde warte, bis seine Freunde...

"Keine Sorge, Bruder. Ich übernehme ab hier!", hallte es plötzlich an das schwindende Bewusstsein des neuen Wurzelhüters heran. Hinter einer der Säulen trat eine Gestalt hervor... Sie war hoch gebaut... Dunkler Teint und langes, braunes Haar. Unter seiner immer wabernderen Sicht erkannte Ryu grüne Augen und ein so markantes wie bekanntes Grinsen... Aber... Wie konnte das sein? Wieso war er so... Anders? So in der Blüte seines Lebens... Wie er hätte sein... Können... Dort, am Fuße der Wurzeln, seine liebste Myra im Arm... Stand Griffin... Der Griffin, den er auf den Reliefs gesehen hatte... Ihre Arme lagen um seinen Hals. Schwach trug er sie auf den seinen. Ihr Blick wie gebannt auf ihm. Etwas kräftiger... Freudiger... Erleichtert... Das war gut... Sie war in Sicherheit... Die Lider des Hayabusa wurden schwerer und schwerer... Verdeckten bereits sein halbes Blickfeld, nicht mehr in der Lage zu sehen, wie sein bester Freund sich zu seiner Liebsten hinunter beugte und... Dann fiel der Hüter. In eine lange, unumschreibliche Finsternis... Kalt... Zähflüssig... Einsam...