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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Der verwunschene Dschungel

    Die Wegbeschreibung des verkrüppelten Bürgers war gut. Es war leicht die Weggabelung mit dem Pfefferbaum zu finden, dann den Hang hinauf zu laufen und zur Ebene zu kommen. Dort stieß er auf drei Graslandscavenger, die er umgehend tötete. Wie gewohnt war er nachlässig beim Ausnehmen. Er trennte nur etwas Fleisch von den Beinen ab und wollte den Rest liegen lassen, doch dann hörte er eine raue Stimme: „Willst du das meiste einfach da lassen? Eine Schande, diese Verschwendung.“
    Er sah auf und sah einen in eine Stoff- und Lederrüstung gekleideten Jäger. Das war vermutlich Elano, der Jäger, von dem der verkrüppelte Bürger gesprochen hatte. Über seine Schulter trug er einen guten Bogen und am Gürtel befand sich ein beeindruckendes Jagdmesser. Der Mann war dunkelhäutig, kurze widerstandsfähige Haare und hatte wache Augen, die ihn abschätzig musterten.
    „Ich weiß nicht wie ich mehr aus den Tieren herausholen soll“, gab der Held zu.
    „Ich kann es dir zeigen, wenn du willst“, sagte Elano freimütig.
    „Was willst du dafür haben?“ fragte der Held lauernd.
    „Nichts.“
    Der Held hob verwirrt eine Augenbraue. Er fand das untypisch.
    „Mir reicht es, wenn du nicht länger Fleisch verschwendest.“
    Er kam näher und kniete sich zum nächstbesten Graslandscavanger hinunter und begann zu erklären: „Weil Graslandscavanger kaum Federn haben, lassen sie sich einfach ausnehmen. Zunächst hackst du den Kopf und die Füße ab.“
    Er nahm sein Jagdmesser und machte es vor. Das Messer war scharf und es war deutlich sichtbar, dass Elano es immer gut pflegte.
    „Jetzt wird ein vorsichtiger Schnitt am Halsansatz durchgeführt. Das rosane ist die Speiseröhre und das weiße die Luftröhre. Zieh beide vorsichtig heraus. Dadurch lockern sich die anderen Innereien. Leber, Herz und Nieren lassen sich gut zubereiten, von den anderen Innereien solltest du lieber die Finger lassen, oder bist du ein erfahrener Koch?“
    Er schaute den Helden fragend an. Doch der schüttelte den Kopf.
    „Dacht ich’s mir. Pass jetzt gut auf, denn es ist wichtig, dass du den Darm nicht verletzt, sonst wird es unappetitlich. Du setzt dein Messer unterhalb des Brustbeins an und schneidest bis zum Arschloch, aber da schneidest du drumherum. Durch den Schnitt greifst du jetzt beherzt ins Tier rein und ziehst den Magen und die Därme heraus. Ganz wichtig ist, dass du die Galle nicht verletzt, sonst wird es eklig. Hier, das weißliche kleine Ding ist sie.“
    Er zeigte es dem Helden und der beugte sich tiefer über den Kadaver, um sie sich anzusehen.
    „Wenn du unaufmerksam bist und die Galle anritzt und sie ausläuft, musst du viel Zeit darauf verwenden das Fleisch mit viel Wasser abzuspülen.“
    Der Held sah aufmerksam zu und prägte sich gut ein, was der Jäger ihm völlig umsonst zeigte.
    „Ah, siehst du Leber und Herz flutschen fast schon von selbst heraus. Wirklich einfach, oder?“
    Der Held nickte zwar, doch er fand, dass man für diese Arbeit schon Geduld brauchte. Wie er sich aber bei seiner Arbeit bei Medelger gesagt hatte, wollte er nun aufmerksamer sein und sich noch mehr Wissen aneignen. Mehr Fleisch aus seiner Beute herauszubekommen würde ihm noch sehr nützlich sein, denn so konnte er mehr Fleisch zu Samuel bringen und sie hätten länger zu essen.
    „Und was jetzt?“ fragte der Held und beobachteten den Jäger weiter.
    „Jetzt brauchst du nur noch den restlichen Glibber aus dem Inneren herausholen und nur noch das Fleisch in handliche Stücke schneiden.“
    Elano zeigte ihm wie es gemacht wurde. Er packte die Fleischstücken auf ein Tuch, das er im saftigen Gras ausgebreitet hatte.
    „Jetzt bist du dran, zerlege den zweiten Graslandscavanger!“, forderte der Jäger ihn auf.
    Der Held tat alles genauso wie Elano es ihm vorgeführt hatte und der Jäger war mit ihm zufrieden.
    „Na also. Sehr gut. Du kannst es doch. Ich hoffe, dass du von jetzt an immer so mit deiner Beute umgehst. Es ist wichtig alles so gut wie möglich zu nutzen, sonst verschwenden wir wertvolle Ressourcen.“
    Auch der dritte Graslandscavanger wurde ausgenommen und zerteilt, so dass bald wirklich viel Fleisch vor ihnen lag. Der Held stellte fest, dass von diesem Fleisch die ganze Mannschaft der Murietta fast eine Woche würde zehren können. Warum hatte er sich vorher nie damit befasst? Dabei hatte er Samuel doch sogar schon dabei geholfen die Beute, die er zum Schiff zurückbrachte zu zerteilen. Die Feinarbeit hatte trotzdem der Schiffskoch vorgenommen. Der Held war verschwenderisch gewesen, hatte die Überbleibsel seiner Gegner nicht genug geschätzt.
    „Danke für den Unterricht. Möchtest du ein oder zwei der Tiere mitnehmen?“
    Elano riss fast schon empört die Augen auf.
    „Ich sagte doch, dass ich keine Gegenleistung erwarte.“
    Doch der Held sah nicht so aus, als würde er eine Ablehnung akzeptieren.
    „Aber, weil es schon spät geworden ist und ich heute noch Fleisch zurück in die Stadt bringen möchte, werde ich einen Teil des Fleisches mitnehmen.“
    Der Jäger langte nach einem Jutesack und stopfte so viel Fleisch wie hinein wie möglich, schulterte ihn und ging dann nach kurzem Abschied den Hang hinunter. Es war noch mehr als die Hälfte des Fleisches übrig und der Held steckte alles was brauchbar war in seine Hosentasche. Die Eingeweide mit denen er nichts anzufangen wusste ließ er einfach liegen. Vermutlich würden sie Fleischfresser anlocken, doch das interessierte den Helden nicht. Das Ausnehmen und zerteilen hatte viel Zeit gekostet und das war vermutlich einer der Gründe warum der Held bisher davon abgesehen hatte sich damit zu befassen. Am Horizont war die untergehende Sonne zu sehen, deren Strahlen einen deutlichen Kontrast schufen.
    Er lief über die Ebene bis die Sonne kaum noch zu sehen war und er den Dschungel erreichte. Kaum war er zwischen die Bäume getreten wurde es fast schlagartig dunkler. Das dichte Blätterdach schluckte den Großteil des Lichts und wieder war es schwer voranzukommen. Der Held zog erneut das Bastardschwert und schlug sich einen Weg durchs Unterholz. Diesmal hörte er deutlich wie es im Gebüsch raschelte und ein Tier davonstob. Er wusste nicht was es war, doch offenbar hatte es kein Interesse daran gegen ihn zu kämpfen. Er überlegte, ob er einen Lichtzauber anwenden sollte, um bessere Sicht zu bekommen, doch verwarf er den Gedanken rasch, denn was auch immer hier im Dschungel lebte, würde so auf ihn aufmerksam werden. Es war mühsam sich den Weg zu Bahnen und er musste achtgeben nicht über das dichte Geflecht aus Wurzeln und Schlingpflanzen zu stolpern.
    Endlich bekam er eine kurze Ruhepause, als er auf eine kleine Lichtung trat. Die letzten Sonnenstrahlen konnten hier einfallen und dadurch war es heller. Eine Ruine war der Grund für die Lücke in den Bäumen, doch er sah, dass sich kleinere Bäumchen und Schösslinge daranmachten auch diesen Bereich für den Dschungel zurückzuerobern. Er bemerkte eine Bewegung und sah gerade noch wie eine Dschungelratte, die bis eben geschlafen hatte, sich aufrappelte und eilig im dichten Buschwerk verschwand. Der Held sah ihr nach, doch als er einen schwarzen Schatten im Augenwinkel sah wirbelte er herum. Er hatte zu langsam reagiert. Er hörte nur noch ein Fauchen und dann sah er Krallen, Zähne und schwarzes Fell und ein kraftvoller Körper riss ihn zu Boden. Er merkte wie lange Fänge über seine Rüstung schabten und schließlich in sein Fleisch eindrangen. Die Überlebensinstinkte des Helden waren sofort zur Stelle und kraftvoll drückte er den geschmeidigen schwarzen Körper mit einem Ruck von sich weg. Ein schwarzer Panther hatte ihn angefallen, der nun fauchte und geschickt von ihm wegsprang, als er mit seinem Bastardschwert nach ihm schlug. Der Held ging davon aus, dass er erneut angreifen würde, doch stattdessen fauchte das Tier noch einmal, drehte sich um und verschwand im Urwald. Skeptisch sah der Held ihm nach. Würde das Tier zurückkehren? Vielleicht wartete es nur auf den richtigen Moment, um ihn erneut anzufallen. Er wirkte rasch einen Heilzauber, um die stark blutende Wunde an seinem Hals zu schließen. Helme hatten wirklich etwas für sich, dachte sich der Held, doch wäre es wirklich unangenehm einen in dieser Umgebung zu tragen. Er hörte etwas hinter sich rumpeln und als er sich umdrehte stand er plötzlich einem von Moos, Farnen Schösslingen bewachsenen Golem gegenüber. Er hatte ihn im Zwielicht wohl bei der Ruine übersehen. Das musste er nun mit einem schmerzhaften Hieb büßen, der ihm alle Luft aus den Lungen trieb und mehrere Rippen zerschmetterte. Der Held flog durch die Luft und landete unsanft im Gebüsch. Ächzend richtete der Held sich mühsam auf. Golems waren träge, doch wurde man von ihnen getroffen so bedeutete dies immer gebrochene Knochen, es sei denn man trug eine hervorragende Rüstung. Sein Körper schmerzte extrem und zuerst wollten seine Muskeln ihm nicht gehorchen, doch der Held zwang sich aufzustehen und sich dem Kampf zu stellen. Er rief erneut das Irrlicht, das für Ablenkung sorgen sollte, damit er Zeit hatte sich zu heilen und eine stumpfe Waffe auszurüsten. Seine Wahl fiel auf einen Steinbrecher. Mit dieser Waffe hatte er immer die besten Erfolge gegen Steingolems erzielen können. Während der Golem noch schwerfällig nach dem flinken Irrlicht schlug, rannte der Held auf ihn zu und schlug mit einem hohen Schlag auf den Stein des Golems. Seine Kampfkraft und Erfahrung zeigten umgehend Wirkung. Der Steinbrecher hinterließ deutliche Spuren auf dem Stein des Golems, der nun zu ihm herumfuhr und erneut nach ihm stieß. Der Held wich aus, indem er nach rechts trat und schlug dann erneut zu. Da er sich nun in der Nähe des Dschungeldickichts befand wich er als nächstes nach links aus und hieb erneut zu, dann ließ er eine Schlagserie auf den Golem einprasseln und achtete dabei darauf, dass der Golem unter den Schlägen erzitterte und innehielt, so dass er gar nicht mehr dazu kam anzugreifen. Ein Golem war er ein gefährlicher Gegner, doch wusste man wie mit ihnen umzugehen war, war es gar nicht so schwer sie zu besiegen. Der Held hatte genug Erfahrung im Umgang mit ihnen und so war der Kampf bald ausgestanden und nur einige Steinüberreste zeugten noch von seiner Existenz. Er nahm das steinerne Golemherz an sich, sah sich noch einmal wachsam um und setzte dann seinen Weg fort, als wäre nichts geschehen. Nun lauschte er aber noch aufmerksamer auf seine Umgebung. Alles wirkte friedlich. Exotische Vögel zwitscherten hoch oben in den Bäumen. Insekten brummten, schwirrten herum und nervten ihn. Er versuchte die Vögel genauer zu sehen, denn einer der Bürger in Eisenbach hatte ihm den Auftrag gegeben für ihn seltene Vögel zu fangen, damit er diese untersuchen konnte. Der Held hätte nicht gedacht, dass diese Aufgabe schwierig werden könnte, denn Vögel waren für ihn bisher keine Gefahr gewesen. Erst jetzt stellte er fest, dass die eigentliche Schwierigkeit nicht die Erlegung, sondern das Aufspüren der Vögel war. Als er merkte, dass er in seiner Wachsamkeit nachgelassen hatte, versuchte er sich wieder ganz auf seine Umgebung einzulassen.
    „Kannst du für mich Vögel aufspüren?“ fragte er das Irrlicht, das neben ihm herschwirrte und dessen blauweißes Licht irritierende Schatten auf die Pflanzen um ihn herum warf.
    Das Irrlicht sirrte verneinend.
    „Hm…“, machte der Held und fragte dann etwas anderes: „Ich suche Frauen im Wald. Da sie hier inmitten all der Gefahren leben, schätze ich, dass sie Heiltränke brauen können. Suche für mich nach Heiltränken, dann werde ich auch die Frauen finden.“
    Diesmal surrte das blaue Irrlicht hilfsbereit und wendete sich um. Offensichtlich war er in einer falschen Richtung unterwegs gewesen. Er musste sich um hundertzwanzig Grad drehen und nun durch noch dichteren Dschungel laufen. Wieder musste er sich durch Engstellen zwängen, oder sich erneut einen Weg freischlagen. Das Licht hatte mittlerweile so weit abgenommen, dass er kaum noch etwas sehen konnte. Das Flirren des Irrlichts war ein guter Orientierungspunkt in der Dunkelheit, doch reichte sein Licht nicht aus, um die Umgebung großzügig zu beleuchten. So war er kurz überrascht, als er das drohende Zischen eines Warans zwischen Schlingpflanzen hörte und schlug instinktiv zu. Er hatte dem Tier den Schädel gespalten, so dass es sofort tot war. Er war etwas kleiner, als er es gewohnt war, aber von einer kräftigen grünen Färbung. Der Vorsatz des Helden künftig mehr den Wert seiner Beute zu schätzen geriet schon wieder ins Wanken. Die Krallen und die Haut nahm er dem Reptil ab, doch da er nicht wusste, ob das Fleisch überhaupt genießbar war und er sich hier in diesem dichten und gefährlichen Dschungel nicht mit langwieriger zusätzlicher Arbeit aufhalten wollte, ließ er den Rest einfach liegen. Als er losging, hörte er hinter sich ein Brüllen. Er fuhr herum, blickte sich hektisch um, doch er sah nur Lianen, Farne und Gestrüpp. Nachdem er einige Zeit kampfbereit dastand, aber nichts weiter passiert war, wandte er sich wieder seinem Irrlicht zu, das ihm immer wieder eindringlich zu geflimmert hatte, damit er ihm weiter folgte. Als sich die Nacht vollends über den Dschungel legte, hörten sich die ihn umgebenden Geräusche bedrohlicher an. Das Licht des Irrlichts warf beunruhigende Schatten und manchmal hatte der Held den Eindruck etwas Lebendiges schleiche um ihn herum, beobachtete ihn. Einmal meinte er oben in den Bäumen einen schwarzen Schatten zu sehen und zwei gelbe Augen, die ihn belauerten. Er war zu weit oben, um ihn selbst mit Magie erreichen zu können und er griff auch nicht an. Als der Held einmal blinzelte, hatte er ihn in der Schwärze der Nacht verloren. Er sah nun immer häufiger hoch in die Bäume, so dass er den Boden etwas vernachlässigte. Doch er hörte die nächste Gefahr, bevor er sie sah. Es war das typische Ächzen und Glucksen, das er von Zombies kannte. Er rüstete den Magiekristall aus, den er von den Feuermagiern der Vulkaninsel erhalten hatte, Läuterfeuer. Schon sah der Held wie die Blätter sich teilten und ein Zombie nach dem anderen auf ihn zu torkelte. Sie trugen sehr abgewetzte Kleidung und vielfach war ihr faulendes Fleisch von Maden durchlöchert. Sofort schoss der Held den ersten Zauber ab. Er flog durch die breiten Blätter von Geigenfeigen und verkohlte sie. Er benötigte kaum magische Kraft, doch nur ein Schuss reichte aus, um einen Zombie niederzustrecken. Der Held fand Gefallen an diesem Zauber. Er war ungeheuer praktisch. Gleich drei Mal schoss er den Zauber ab und war so alle Zombies los. Wachsam sah er sich um, doch er konnte nichts Gefährliches mehr entdecken. Die Zombies lagen endgültig tot am Boden und die Pflanzenblätter hatten aufgrund ihres frischen Saftes schon aufgehört zu brennen und nur noch ein Geruch von Qualm und verbranntem alten Fleisch hing in der Luft. Langsam bekam der Held das Gefühl, dass diese Frauen Magierinnen waren und keinen Besuch wollten. Trotzdem setzte er seinen Weg unbeirrt fort.
    Es war schon sehr spät und die Luft wurde kalt, aber noch feuchter, da hackte er sich immer noch durch den dichten Urwald, wurde aber unversehens erneut angesprungen. Der Panther war wieder da und wieder wurde er umgerissen. Diesmal war der Held aber darauf gefasst und stach mit seinem Bastardschwert in die Seite des Tieres. Der Panther gab ein schmerzgeplagtes Brüllen von sich und sprang von ihm herunter. Der Held setzte nach und schlug erneut zu. Er traf, doch da der Panther gleichzeitig zugeschlagen hatte, musste er vier schmerzhafte Kratzer an seinem rechten Unterarm in Kauf nehmen. Das Irrlicht flackerte um den Panther herum, doch das Tier ignorierte es rigoros. Untypisch.
    Eigentlich müsste der Panther mittlerweile zu schwer verletzt sein, um zu kämpfen, doch als wäre dies egal, sprang er erneut los und versuchte ihn wieder umzureißen. Wieder schlug der Held zu. Wieder wurde der Panther abgewehrt. Er raschelte nun ins Gebüsch davon. Schwer atmend stand der Held da und wartete auf den nächsten Angriff. Es war unmöglich vorherzusehen von wo das Tier angreifen würde. Der schwarze Panther war wie ein Urwaldgeist. Er machte jetzt weder Geräusche, noch sah der Held eine Bewegung im dichten Gebüsch. Es war vollkommen still. Selbst die Vögel schwiegen. Es war gespenstisch ruhig im Dschungel. Dann ging alles ganz schnell. Der Held sah eine plötzliche Bewegung und riss sein Bastardschwert hoch, doch er war nicht schnell genug. Die Reflexe des Panthers waren den seinen deutlich überlegen. Wie eine Eisenfalle legte sich das Gebiss des Tieres um seine rechte Hand. Ein sengender Schmerz schoss dem Helden ins Gehirn, als die Fänge seine Knochen durchbohrten. Blut floss aus großen Wunden. Er konnte das Schwert nicht länger halten und es fiel irgendwo ins Gebüsch. Wütend schlug der Held mit der linken Faust immer wieder gegen den Kopf des Panthers, doch der hielt sich hartnäckig verbissen. Da der Panther wichtige Arterien getroffen hatte, musste er nur noch abwarten, bis seine Beute ausbluten würde, doch so lange würde der Held nicht warten. Mit der alten Magie schleuderte er mit links einen Feuerball auf den Panther, der schrill jammerte und dabei das Maul aufriss, so dass der Held seine geschundene Hand endlich befreien konnte. Ohne zu zögern schoss der Held erneut einen Feuerball auf den schwarzen Panther und endlich ging er zu Boden. Schwer atmend stand der Held einen Moment da und sah auf das Tier hinunter. Wie hatte dieser Panther so lange überleben können? Selbst Löwen hatte der Held schneller erledigt. War er aus der Übung? Vielleicht lag es auch am Heimvorteil? Im dichten dunklen Dschungel hatte der Panther einen deutlichen Vorteil ihm gegenüber gehabt.
    Rasch heilte der Held sich mit einem Heilzauber und suchte dann nach seinem Bastardschwert. Es war zu schwer im dunklen Gestrüpp zu finden, so dass er das Irrlicht um Hilfe bat. Das kleine blau leuchtende Irrlicht fand das Schwert beinahe sofort und lotste ihn eindringlich leuchtend ans Ziel. Das Schwert war deprimierenderweise nur drei Schritt entfernt gewesen und hatte unter dichten, breiten Blättern versteckt gelegen. Der Held seufzte. Der Dschungel war wirklich eine Herausforderung. Er ging zum schwarzen Panther zurück und wollte ihm das Fell abziehen. Doch es ging nicht. Die einzige ihm logische Schlussfolgerung war, dass dieser Panther eine Beschwörung war. Ein weiteres Indiz dafür, dass die Magierinnen lieber nicht gestört werden wollten, doch der Held hatte einen Auftrag zu erfüllen und die vielen Hindernisse stachelten ihn eher noch mehr dazu an, endlich sein Ziel zu erreichen. Diesmal trug er seinem Irrlicht auf nach Zauberspruchrollen zu suchen und wieder wies es ihm den Weg durch den dichten dunklen verwunschenen Dschungel. Endlich, nach Stunden, so kam es dem Helden vor, sah er den schwachen Schein von Feuer zwischen den Dschungelpflanzen hervorscheinen. Zielstrebig marschierte er darauf zu und trat endlich aus dem Dschungel heraus.
    „Halt! Bleib sofort stehen!“ drang die strenge alte Stimme einer Frau an seine Ohren.
    Er sah sich wachsam um und erkannte einige Schritt entfernt von sich sieben Frauen stehen. Zwei Trugen Roben von Innosmagiern, zwei von Beliar und drei von Adanos. Ganz offensichtlich hatten sie gewusst, dass er kommen würde und sie waren bestens vorbereitet. Vier Zombies, ein Steingolem und ein schwarzer Panther standen neben ihnen und die Magierinnen selbst hielten Zauber bereit, um ihn angreifen zu können. Der fachkundige Blick des Helden erkannte zwei Blitzzauber, einen Feuerball, einen Feuersturm, einen Eispfeil, einen Eisblock und eine Eislanze.
    „Ich bin nicht gekommen um Ärger zu machen. Ich habe ein Paket abzugeben“, sagte der Held, um die Frauen zu beruhigen.
    Er hob die Hände, um anzuzeigen, dass er nicht gegen sie kämpfen wollte.
    „Du bist also nicht gekommen, um uns anzugreifen?“ fragte eine Schwarzmagierin, eine junge energisch aussehende Frau, deren schwarze Locken unter ihrer Kapuze hervortraten.
    „Nein“, antwortete der Held knapp und schob dann nach: „Warum sollte ich das tun?“
    „Wir hatten schon oft Ärger mit den Bewohnern von Eisenbach“, erklärte die Schwarzmagierin. „Sie mögen uns nicht und wir mögen sie nicht.“
    „Wir meiden einander“, setzte eine alte Innosmagierin hinzu.
    „Warum?“ fragte der Held.
    „Sie nennen uns Hexen“, sagte eine Adanosmagierin und eine ihrer Schwestern setzte hinzu: „Wann immer wir versucht haben unter ihnen zu leben hat sich die Situation hochgeschaukelt und ist eskaliert.“
    Eine uralte Adanosmagierin erklärte mit ruhiger Stimme: „Mittlerweile sind es die Menschen gewohnt, dass auch Frauen Magier werden, doch können sie nicht akzeptieren, dass es eine Gemeinschaft gibt, die aus Magiern aller drei Götter besteht und trotzdem friedlich zusammen lebt.“
    Der Held musterte die Magierinnen. Sie wirkten verschieden. Hinter ihnen konnte er einfache, aber recht gemütlich aussehende Hütten sehen, vor denen ein großes Feuer loderte. Sie waren Kreisrund und es gab Beete, die direkt dort aufgebaut waren wo die Sonne tagsüber auf die Lichtung fallen würde. Etwas entfernt konnte er einen Bach gluckern hören. Wenn man sich die beschworenen Wesen und die angriffsbereiten Magierinnen wegdachte könnte es ein friedlicher Ort sein.
    „Ich bin nicht hierhergekommen, um euch zu schaden“, wiederholte der Held nachdrücklich.
    „Wir werden sehen“, sagte die junge Schwarzmagierin. „Gib uns das Paket, wegen dem du hier bist.“
    Der Held trat mutig vor sie und überreichte es ihr. Sie ließ ihren Zauber verlöschen, nahm das Paket entgegen und packte es aus. Es beinhaltete ein Buch. Der Held sah im Dunkeln nicht genau, was es für ein Buch war, doch es war wohl nichts erfreuliches, denn die Magierin holte empört laut Luft.
    „Welch Impertinenz. Ich sollte dich sofort töten!“
    Ihre Augen blitzten böse und sie wollte erneut einen Zauber auswählen. Die Hand des Helden fuhr zu seinem Bastardschwert, doch bevor sie beide zur Tat schreiten konnten, hob die uralte Wassermagiern die Hand und sagte in durchdringendem Tonfall: „Genug!“
    Ihre Stimme hatte nicht aggressiv geklungen, doch war sie wie ein Donnerschlag im nächtlichen Dschungel. Der Held glaubte, dass sogar die Geräusche der Natur für einen Moment inne hielten. Er sah sich skeptisch um, doch dann war alles wie zuvor.
    „Mäßige deinen Zorn Dagmar! Ich glaube ihm. Er ist nicht hierhergekommen, um unverschämt zu sein.“
    „Aber dieses Buch, Mechthild, sieh es dir an!“ sagte die Schwarzmagierin empört.
    Sie hielt das Buch hoch und noch bevor der Held erkennen konnte was es für ein Buch war, ging es durch viele Hände, bis es die uralte Wassermagierin erreichte. Sie sah es gar nicht wirklich an, sondern winkte den Helden näher heran. Als er herankam bemerkte er, dass ihre Pupillen milchig waren. Sie war blind. Doch trotzdem konnte sie offensichtlich sehen, denn sie musterte den Helden eindringlich. Schon einmal war der Held einem Menschen begegnet der augenscheinlich blind war, doch der trotzdem sehen konnte, Xardas. Deswegen nahm er auch das als Gegeben hin.
    „Wer hat dich hergeschickt uns das Buch zu bringen?“
    „Ein Bürger von Eisenbach. Er hatte nur ein Bein und konnte das Paket deswegen nicht selbst herbringen.“
    Die Frauen redeten durcheinander.
    „Ach deswegen?“
    „Nicht weil der Dschungel gefährlich ist?“
    Einige lachten.
    „Na da hat dich jemand zum Narren gehalten.“
    „Er wollte, dass du stirbst…“
    „…entweder im Dschungel oder durch unsere Magie.“
    Der Held dachte nach.
    „Ich kenne diesen Mann nicht. Warum sollte er wollen, dass ich sinnlos ein Paket überbringe?“
    Die alte blinde Wassermagierin seufzte, weil sie es wohl für offensichtlich hielt. Geduldig erklärte sie: „Nun ja, vielleicht hast du jemandem etwas angetan, an dem ihm etwas liegt?“
    Der Held dachte nach und seine Gedanken führten zu Bernd. Der Krüppel hatte gesagt, dass er in der Mine gearbeitet hatte. Vielleicht war Bernd sein Kumpel?
    „Dieses Buch sollte uns ganz offensichtlich provozieren, so dass wir dich töten. Ein ziemlich dumpfer Versuch uns zu manipulieren“, sagte Mechthild.
    „Und du hast dich dafür hergegeben uns dieses Paket zu bringen? Durch den verwunschenen Dschungel hindurch, in dem wir all die vielen Wächter platziert haben, damit niemand ungewollt zu uns hindurchdringen kann?“ fragte eine andere Wassermagierin.
    „Ja“, antwortete der Held.
    Die ältere Feuermagierin sah ihre Schwestern an und sagte: „Das ist aber auch eine Arbeit für jemanden, der Vater und Mutter erschlagen hat.“
    Drei der Magierinnen nickten.
    Der Held zog eine Augenbraue hoch, weil er ihre Aussage seltsam fand.
    Die älteste Wassermagierin wandte sich an die jüngste Wassermagierin und sagte: „Wibke, bring dieses Buch bitte zum Kompost. Leider ist der Inhalt die Tinte und das Papier nicht wert auf dem es geschrieben wurde.“
    Die jüngere Magierin nickte, nahm das Buch und brachte es fort.
    „Wirst du jetzt wieder gehen, nun da du das Buch abgegeben hast?“ fragte eine Feuermagierin.
    „Da ich schon mal hier bin, kann ich auch mit euch reden. Ihr seid Magierinnen, bestimmt können wir uns austauschen. Ich suche nach magischem Wissen.“
    „Das Streben nach Wissen ist vermutlich das edelste Motiv, das man haben kann“, sagte die uralte Wassermagierin.
    Der Held nickte. Er sah das wohl als Zustimmung.
    „Dann lasst uns magische Kristalle und Runen tauschen. Vielleicht könnt ihr mir auch etwas über alte Magie … oder vielleicht nennt ihr es auch hohe Magie beibringen.“
    Er sah wie einige Frauen die Stirn runzelten. Dagmar, die Schwarzmagierin, schüttelte entschieden den Kopf. Mechthild sah ihn weiter aus ihren blinden Augen an und sagte: „Das dachte ich mir.“
    Es dauerte einige Zeit bis sie wieder etwas sagte und der Held dachte schon, sie würde überhaupt nichts mehr von sich geben, so lang zog sich die Stille.
    „Du hast im Laufe deiner Abenteuer mehr Fähigkeiten angesammelt, als ein einzelner Mensch sie haben sollte. Deswegen werden wir dir kein weiteres magisches Wissen überlassen.“
    Das gefiel dem Helden gar nicht. Woher wusste sie von seinen Abenteuern? Sah sie mehr, als man mit normalen Augen sehen konnte?
    „Mann ohne Namen, um dich liegt eine mächtige Aura. Sie sagt mir, dass die Götter dich genau im Auge behalten. Vielleicht, um ihren Zielen zu nützen, vielleicht zur Unterhaltung.“
    „Ich habe geholfen die drei Götter aus dieser Welt zu verbannen“, sagte der Held.
    Die Alte lachte gackernd. Bisher hatte sie so ernst und würdevoll gewirkt, dass ihre plötzliche Heiterkeit wirklich fehl am Platz wirkte.
    „Was hast du? Haha. Du Narr! Die Götter können nicht verbannt werden. Sie sind fest mit dem Morgrad verbunden. Adanos hat diese Welt erschaffen. Sie haben die göttlichen Artefakte erzeugt und geben ihren Avataren Macht. Da ist es doch wohl offensichtlich, dass sie viel mächtiger sind als ihre Artefakte oder ihre Avatare. Vielleicht hast du ihre Macht, die sie auf Myrtana haben reduziert, indem du Myrtana verlassen hast und die dort befindlichen Artefakte Adanos zerstört hast, doch das gilt natürlich nicht für den Rest der Welt. Myrtana ist ein kleines Land. Hast du ernsthaft geglaubt damit wirklich etwas ausrichten zu können? So lange die Menschen an die Götter glauben und zu ihnen beten haben sie auch Macht und selbst wenn die Menschen sie vergessen würden, wären sie noch da. Die Menschen wüssten nur nicht mehr wer sie sind. Die Götter sind mächtig. Sie haben Kräfte, die wir uns nicht einmal vorstellen können. Natürlich sind auch sie endlich. Nichts lebt ewig. Doch sollte der Zeitpunkt gekommen sein, da sie aufhören zu existieren wird es die Menschen auf dieser Welt wahrscheinlich längst nicht mehr geben, ja vielleicht wird es selbst den Morgrad nicht mehr geben.“
    „Woher weißt du das alles?“ fragte der Held.
    „Ich bin eine Seherin“, sagte die blinde Frau.
    Der Held runzelte die Stirn.
    „So nennst du das also, wenn man blind ist…“
    „Ich sehe mit meiner Magie“, erklärte die uralte Wassermagierin.
    „Verstehe. Kenne da noch jemanden…“
    „Ich weiß, er hat dir auch diesen Floh ins Ohr gesetzt, du sollst die göttlichen Artefakte zerstören…“
    „Genau“, antwortete der Held knapp.
    „Es gibt noch viele weitere göttliche Artefakte.“
    „Die Klaue Beliars…“
    „…befindet sich noch in Myrtana“, vollendete Mechthild seinen Satz.
    Der Held runzelte kurz die Stirn, nahm ihr Wissen aber dann als gegeben hin, denn immerhin sagte sie bereits, dass sie eine Seherin war und fragte: „Weißt du wie ich die magische Barriere durchdringen kann?“
    „Dazu ist die Kraft eines Göttlichen Avatars nötig, oder die Magier, welche die Barriere erschaffen haben lösen sie wieder auf. Allerdings funktioniert das nur so lange, wie sie die Barriere unter Kontrolle haben. Verändert eine andere Macht die Barriere, verschwindet auch die Möglichkeit, dass sie die Barriere wieder auflösen können.“
    Der Held war beeindruckt von ihrem Wissen. Er hatte schon einige mächtige Magier getroffen, doch bisher hatte keiner so viel gewusst wie Xardas und diese Frau schien ihm von ihrer Erfahrung und ihrem Wissen ebenbürtig. Der schwarze Panther neben ihr kam näher heran und stupste seinen Kopf an ihre Hand, so als ob er gestreichelt werden wollte. Sie kraulte seinen Kopf, als sie sagte: „Die Klaue Beliars verspricht enormes Zerstörungspotential, deshalb solltest du dir gut überlegen, ob du sie wirklich zurück willst.“
    Der Held antwortete nicht darauf, sondern wechselte das Thema.
    „Ein Wassermagier hier in der Gegend erwähnte ein Göttliches Artefakt von Adanos. Es ist wohl ein Helm, mit dem man unter Wasser atmen kann.“
    „Adanos Atem, ja“, sagte Mechthild ruhig. „Frauke kennt einen Hinweis zu diesem göttlichen Artefakt.“
    Sie wies auf eine Wassermagierin mit gelockten braunen Haaren in den Fünfzigern. Ihre blaue Robe wirkte schon etwas zerschlissen, ein Zeichen dafür wie lange sie bereits getragen wurde.
    „Allerdings wüsste ich nicht warum ich dir etwas dazu sagen sollte“, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    Neben ihr stand der Steingolem und hieb die rechte Faust in die offene linke Hand. Während der Held noch überlegte was er antworten sollte, sagte die älteste Magierin: „Du befindest dich auf dem Weg Richtung Beliar.“
    Es war keine Anschuldigung, mehr eine Feststellung.
    „Woher weißt du das?“ fragte er sehr direkt.
    „Ich sehe alles was mit den großen Machtverschiebungen zusammen hängt. Deswegen habe ich gesehen wie du den Schläfer gebannt, die Klaue Beliars gefunden, das Auge Innos benutzt, die Drachen besiegt und die myrtanischen Adanos Artefakte gefunden und schlussendlich zerstört hast.“
    Ein kalter Schauer fuhr das Rückgrat des Helden hinab. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, dass ihm jemand insgeheim bei seinen Abenteuern zugesehen hatte. Jetzt wo er wusste, dass sie es gesehen hatte, konnte er sich denken, dass Xardas über eine ähnliche Macht verfügte. Woher sonst hatte er immer so genau Bescheid gewusst? Der Magier hatte ihn nie groß befragt und doch alles gewusst.
    „Vielleicht gehe ich nun einen anderen Weg als früher, aber das kann sich ja auch wieder ändern und egal was du denkst, ich gehe meinen eigenen Weg“, sagte der Held störrisch.
    Er wollte sich in seine Taten nicht reinreden lassen. Er wollte sein eigener Herr sein, seine eigenen Entscheidungen treffen und er mochte es nicht, wenn jemand auch nur die Andeutung machte, dass es etwas mit göttlicher Fügung oder Schicksal zu tun hatte.
    „Vielleicht ja, doch bedenke, dass deine heutigen Taten Einfluss auf das Morgen haben. Die Freiheit der Wölfe ist der Tod der Lämmer.“
    Der Held runzelte die Stirn. Er mochte diese umständliche Art zu reden nicht. Viel zu rätselhaft. Konnten solch abgehobene Magier nicht mal Klartext reden? Er verschränkte die Arme vor der Brust und fragte: „Was muss ich tun, damit du mir den Hinweis zu Adanos Atem überlässt, Frauke?“
    Sie schürzte die Lippen und sagte lange Zeit nichts. Offensichtlich dachte sie nach.
    „Sag es ihm nicht!“, sagte eine der Feuermagierin.
    „Gibt ihm eine Chance“, sagte dagegen die andere Feuermagierin.
    Endlich sagte Frauke: „Ich werde es dir sagen, wenn du mir das Herz des Meeres bringst. Es ist zwar kein göttliches Artefakt, aber trotzdem von unschätzbarem Wert. Es ist ein magischer Saphir, der in einen magischen Stab eingearbeitet wurde und Wassermagie verstärkt. Er befindet sich im versunkenen Tempel des alten Volkes.“
    „Und wo finde ich diesen Tempel?“, fragte der Held.
    „Irgendwo innerhalb des Archipelkönigreichs“, antwortete Frauke.
    Der Held zuckte mit den Schultern.
    „Das hilft nicht wirklich.“
    „Ich weiß. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass du das Herz des Meeres finden wirst“, sagte sie, wohl in der Annahme ihn zu entmutigen.
    Vielleicht wollte Mechthild ihm helfen, denn sie sagte: „Wenn du den Tempel wirklich finden möchtest und Adanos dir wohlgesonnen ist, dann wird er dir Hilfe schicken.“
    „Ver-stehe“, sagte der Held, obwohl das nicht wirklich der Fall war. „Da du so eine hervorragende Seherin bist, kannst du mir bestimmt auch sagen wo ich die „Esmeralda“ finde.“
    Mechthild runzelte die Stirn.
    „Ich vermute, du meinst damit ein Schiff? Nein, kann ich nicht. Da sie mir nichts sagt, hat sie nicht genug mit den Machtverschiebungen der Götter zu tun.“
    Der Held glaubte ihr und obwohl diese Antwort ihn nicht mit seiner Hauptaufgabe weiterbrachte, beruhigte sie ihn, denn sie sagte ihm, dass Mechthild nicht so viel sah wie er befürchtet hatte. Er zog sein Tagebuch hervor und schrieb sich ein paar Notizen auf. Dann verließ er die sieben Schwestern, da sie nicht mit ihm handeln und nicht länger mit ihm reden wollten.
    Geändert von Eispfötchen (07.04.2024 um 21:54 Uhr)

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    Befreiungsplan

    „Aber die Sklaven“, fing Keven wieder an. „Willst du sie einfach hängen lassen? Wir können doch nicht einfach nur hier herumsitzen und den Kopf in den Sand stecken!“
    Lester seufzte. Er fragte sich wie oft sie diese Diskussion nun schon geführt hatten. Eigentlich hatte er einfach nur hier auf der Düne vor Lago liegen und rauchen wollen. Nun da die Tage wieder wärmer wurden, versuchte er den Vormittag zu genießen, da es dann noch sehr angenehm warm war. Wenn es während der Mittagszeit zu stickig in der Wüste wurde, war es am besten zur Sumpfkrautplantage zurückzukehren wo meist ein frischer Wind vom Meer herüberwehte. Es hätte so schön sein können. Einfach nur auf dem warmen Sand liegen, sich von der Sonne wärmen lassen und rauchen. Mehr brauchte Lester nicht, um glücklich zu sein und er dachte sich, dass das eigentlich nicht zu viel verlangt war, aber dann fing Keven wieder mit diesem Thema an. Seitdem er wieder eingefangen wurde und Lester ihn zusammen mit Shakyor, dem Nomaden aus Bakaresh, gerettet hatte, wich der Junge ihm nicht mehr von der Seite. Wo Lester hinging, da ging auch Keven hin. Eigentlich mochte Lester Gesellschaft, aber diese ständige Anhänglichkeit war ihm dann doch zu viel. Er wusste, er konnte Keven deswegen keinen Vorwurf machen. Er verhielt sich so, weil er eine schwere Zeit hatte durchleben müssen und nach Sicherheit suchte. Lesters Versuche ihm das Kämpfen beizubringen waren leider bisher kläglich gescheitert. Selbst nachdem Shakyor ihnen erzählt hatte, dass die Nomaden vorhatten Mora Sul anzugreifen und der Junge sich und nebenbei gesehen auch Lester und Herbert entflammt für die Sache eingeschworen hatte, war es mit dem Training nicht wirklich besser geworden. Keven war launisch und fragte immer wieder laut, warum das Training so schwer sein musste. Lester überlegte, ob es vielleicht an ihm lag. Vermutlich war er einfach kein guter Lehrer, oder warum fiel dem Jungen es so schwer das Kämpfen zu lernen? Die Bewegungen hatte er ihm zur Genüge gezeigt, daran lag es nicht, es war immer der Moment wenn der Junge gegen jemand anderen kämpfen sollte. Dann blieb er meist stocksteif stehen und schien alles zu vergessen. Er rang panisch nach Atem, fing an zu zittern und ihm brach schlagartig der Schweiß aus. Dabei kämpften sie doch nur mit Stöcken. Lester dachte sich, dass es nicht unbedingt um die derzeitige Trainingssituation ging, sondern sein Schützling sich immer wieder an frühere Erlebnisse erinnerte, die ihn dann lähmten und daran hinderten zu kämpfen. Möglicherweise lag es auch am Sumpfkraut. Lester wollte sich das zwar nicht gern eingestehen, aber ihm selbst war aufgefallen, dass seine Reaktionszeit ganz beträchtlich litt, wenn er zu viel geraucht hatte. Ein oder zwei Stengel grüne Novizen machten ihm nicht mehr viel aus, da er ein erfahrener Raucher war, doch bei Keven sah das ganz anders aus. Eigentlich dachte Lester, dass der Junge sich mittlerweile etwas an das Kraut gewöhnt haben sollte, doch schon nach drei Stengeln grünen Novizen am Tag wurde Keven etwas wunderlich. Die Halluzinationen fand Lester im Grunde nicht weiter beunruhigend, auch wenn sie manchmal etwas seltsam waren, anders sah es aus, wenn Keven unter Verfolgungswahn litt und regelrechte Panikattacken durchstehen musste. Lester versuchte ihn dann zu beruhigen, aber er hatte den Eindruck, dass er in solchen Momenten fast gar nicht mehr zu Keven durchdrang. Zum vielleicht ersten Mal fragte sich Lester, ob es gut war, wenn Keven Sumpfkraut rauchte. Vielleicht sollte der Junge den Konsum reduzieren? Aber dann war Keven gestresst und ängstlich.
    Lester erinnerte sich an die Zeit als er vor den Drachen aus dem Minental geflohen war. Im Tal neben Xardas Turm hatte er sich auch hin und wieder ganz schön zugedröhnt, um die Sorgen und vor allem die Kopfschmerzen zu verdrängen, doch manchmal hatte er geglaubt, die Drachen würden ihn vielleicht auch im Tal finden und dort erledigen. Er konnte daher ein wenig nachfühlen wie es Keven ging.
    „Nun sag doch was!“, hörte er Kevens drängende Stimme, die ihn aus seinen Gedanken riss.
    Er saß neben ihm im Sand und streichelte Waldi, den beschworenen Wolf. Lester hatte den Eindruck, dass seine Gegenwart Keven etwas beruhigte.
    „Wir haben das doch schon oft genug durchgekaut, findest du nicht?“ fragte Lester genervt und atmete angestrengt aus.
    „Aber ich hab das Gefühl, du hörst mir nicht richtig zu“, sagte Keven weinerlich. „Ich hab das Gefühl unsere Gespräche führen zu nichts.“
    „Was glaubst du denn zu was sie führen sollten?“ fragte Lester und zog einen schwarzen Weisen hervor, zündete ihn sich an und fing an zu rauchen.
    Den konnte er jetzt gut gebrauchen.
    „Na zur Befreiung der Sklaven“, sagte Keven nachdrücklich, so als wäre das sonnenklar.
    „Aber du verstehst nicht, dass das nicht einfach mal so geht“, sagte Lester säuerlich, weil er ihm das schon so oft gesagt hatte.
    „Aber du bist ein starker Kämpfer und du bist ein guter Magier, du kannst es schaffen. In Bakaresh hast du es zusammen mit den Nomaden doch auch geschafft die Sklaven zu befreien.“
    „Und es sind sechs Nomaden gestorben. Meinst du, das ist mir egal? Wir wären um ein Haar auch drauf gegangen“, entgegnete Lester.
    Für einen Moment wurde Keven still. Das nutzte Herbert aus, der neben Keven im Sand lag, um zu sagen: „Bestimmt schaffen es die Nomaden auch allein, ohne Lester.“
    Sein Blick wirkte schon ordentlich vernebelt von den vielen Sumpfkrautstengeln, die er bereits geraucht hatte. Anders als Keven hatte Herbert seinen Konsum ordentlich hochgefahren. Auch wenn er nicht so offensichtliche psychische Probleme bekam wie Keven, so hatte Lester den Eindruck, dass er paranoider und anhänglicher wurde, wenn er zu viel geraucht hatte. Vielleicht glaubte auch er die Assassinen könnten jeden Augenblick vor ihm stehen und ihn erneut einfangen, oder ihn sofort töten. Immerhin hatte er sich heute etwas zurückgehalten. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass der Tag gerade erst angefangen hatte.
    „Vorher war Lester ja auch nicht hier und die Nomaden haben trotzdem gegen die Assassinen gekämpft“, setzte Herbert hinzu.
    Keven warf ihm einen enttäuschten Blick zu. Er hatte wohl gehofft, dass er ihm wieder zur Seite stand. Herbert hatte sich in der Vergangenheit auch oft dafür eingesetzt, dass die Sklaven befreit werden sollten, doch er zog es vor, dass jemand anders es tat. Immer wieder hatte er betont, dass er kein guter Kämpfer war und so wie Keven ging er immer davon aus, dass Lester sie beschützen würde, wenn ihnen irgendetwas oder irgendjemand gefährlich werden sollte. Es war natürlich einfacher diese Last jemand anderem in die Schuhe zu schieben, das war Lester schon klar. Oft genug hatte er das ja selbst so gemacht. Er erinnerte sich noch gut daran, wie er mit seinen Freunden im Schläfertempel war und Gorn und er einen Minecrawler Schacht untersuchten. Er hatte Gorn vorgehen und alle Viecher wegbretzeln lassen, so dass er gar nicht mitkämpfen musste. Jetzt war er derjenige, der zum Kämpfen vorgeschoben wurde und das gefiel Lester gar nicht. Außer ein paar Blutfliegen, die sich vor einer Woche in der Nähe der Sumpfkrautplantage hatten blicken lassen, hatte es zum Glück keine Veranlassung für einen Kampf gegeben, aber bestimmt würde irgendwann der Moment kommen, wenn sie so richtig tief in der Scheiße steckten und dann wünschte sich Lester, dass seine Freunde mit ihm kämpfen würden und nicht einfach nur schreckensstarr dastanden.
    „Aber Lester kann diese mächtigen Zauber“, beharrte Keven wieder einmal darauf.
    „So mächtig sind sie nun auch wieder nicht“, versuchte Lester abzuwiegeln. „Ich kann nur Zauber bis zum dritten Kreis der Runenmagie.“
    „Nicht mächtig?“ fragte Keven empört. „Pyrokinese und nicht mächtig? Das ist einer der mächtigsten Zauber, den ich je gesehen habe und das nennst du nicht mächtig?“
    Lester seufzte tief und nahm noch einen langen Zug von seinem Sumpfkraut. Er fragte sich, wann der Junge endlich damit aufhören würde ihn zum Kampf zu drängen. Bisher hatte er immer versucht die Diskussionen stur auszusitzen, doch das half offenbar nicht. Keven drängte ihn nur immer weiter.
    „Na schön. Ich hab mir was überlegt“, sagte Lester und ging in Gedanken noch mal den aberwitzigen Plan durch, den er sich als Alternative zum Kämpfen ausgedacht hatte.
    Eigentlich sah er ihn als zu gefährlich an, aber er wollte hören, was seine Freunde dazu sagen würden. Seine Worte ließen Herbert und Keven aufhorchen. Herberts Stirn furchte sich und benebelt setzte er sich auf. Keven, der heute bisher nur einen grünen Novizen geraucht hatte, war hellwach und riss bei Lesters Worten die Augen auf.
    „Lass hören!“, sagte der ungeduldig.
    „Was wäre, wenn ich allein nach Mora Sul gehe und dort den …“
    Lester suchte nach Worten.
    „… den … den Sklavenbesitzer suche? Sagt man das so? Ich kann ihn ja erstmal beobachten und ihm in einem günstigen Moment einen Freundlich stimmen Zauber anhängen. Er wird mich dann wie einen Freund behandeln, was mir hoffentlich helfen wird. Ich werde dann auf ihn zugehen und ihm die Sklaven einfach abkaufen. Mit dem Verkauf unseres Sumpfkrauts haben wir jetzt sechshundert Goldmünzen zusammen bekommen. Meint ihr das reicht?“
    Herbert und Keven sahen ihn verwundert an. Kevens Gesicht nach zu urteilen hielt er das für einen ganz ausgezeichneten Plan, doch Herbert sah sehr skeptisch aus und sagte: „Du bringst dich damit in große Gefahr. Was ist, wenn dein Zauber nicht funktioniert?“
    „Warum sollte er nicht funktionieren?“ fragte Lester.
    „Naja, eine der Grundregeln der Assassinengesellschaft besagt: „Stelle niemals Freundschaft über Reichtum.“ Also selbst wenn er dich als Freund sieht, ist es wahrscheinlich, dass er dir deswegen trotzdem keinen besseren Preis macht.“
    Lester runzelte die Stirn, hörte Herbert aber aufmerksam zu, als er fortfuhr: „Eine andere Grundregel besagt: „Sklaven sind die Sprossen auf der Leiter des Erfolgs,….““
    Den zweiten Teil der Grundregel ließ er unter den Tisch fallen, offenbar war die Erinnerung daran zu schmerzhaft, oder das Sumpfkraut hatte seinen Geist so sehr vernebelt, dass er ihm schlicht nicht mehr einfiel.
    „Aber er kriegt doch Gold“, hielt Lester dagegen.
    „Aber wenn du ihm alle Sklaven abkaufst, dann hat er niemanden mehr, der für ihn arbeitet. Das ist schlecht fürs Geschäft“, hielt Herbert dagegen. „Ich habe oft den Eindruck, dass du nicht wirklich verstehst, wie die Assassinen denken.“
    „Hm…“, machte Lester, der darauf nicht sofort etwas zu sagen wusste.
    Herbert hatte Recht. Lester konnte sich nicht gut in die Assassinen hineinversetzen. Ihnen ging es oft um Besitz, um Gold, um Reichtum. Er hielt es dagegen mehr wie die Nomaden. Er brauchte nicht viel zum Leben, um glücklich zu sein. Eigentlich reichte es ihm ja schon einfach nur entspannt in der Sonne zu liegen und zu rauchen, aber das war ja im Moment auch nicht drin. Während Lester noch überlegte und weiter rauchte, fügte Herbert hinzu: „Und das Gold reicht vielleicht für zwei Sklaven. Es gibt sicher mehr in Mora Sul und was ist, wenn die Sklaven verschiedene Besitzer haben? Meist ist es so, dass die Sklaven zwar zusammen in einem Käfig gehalten werden, aber unterschiedliche Besitzer haben. Das ist einfacher, als wenn jeder Sklave einzeln irgendwo angekettet wird. Viele Assassinen wollen die Sklaven nicht im Haus haben, wenn sie schwer arbeiten müssen. Sie stören sich wohl an den Gerüchen. Nur die Sklaven, die im Haushalt arbeiten, die dürfen auch im Haus sein. Du müsstest also deinen Zauber mehrmals anwenden und viele Verhandlungen führen.“
    „Ich muss das ja nicht alles an einem Tag machen, oder? Ich könnte doch immer mal wieder kommen.“
    „Das fällt doch dann aber auf“, hielt Herbert dagegen.
    „Und wenn ich ein paar Wochen dazwischen Zeit lasse?“ fragte Lester.
    „Dann steigt die Gefahr, dass sie bemerken, dass du irgendeinen faulen Zauber mit ihnen treibst. Glaub mir, die Assassinen lassen sich nicht einfach all ihre Sklaven abkaufen“, sagte Herbert strikt.
    „Also ich halte es für eine gute Idee“, sagte Keven mit vor Freude glitzernden Augen. „Lester könnte die Lage ja erstmal ausspähen.“
    „Warum immer ich?“ fragte Lester, doch Keven ging gar nicht auf seinen Einwand ein und erzählte einfach weiter: „Und dann kann er entscheiden, ob er alle Sklaven auf einmal retten kann, oder ob er die Wache vielleicht mit einem Zauber schlafen legt und das Schloss aufknackt.“
    „Ich kann gar keine Schlösser knacken“, stellte Lester klar.
    „Oh“, kam es überrascht von Keven.
    „Kannst du das denn?“ fragte Lester zurück.
    Keven schüttelte den Kopf.
    Lester stöhnte. Er hatte den Eindruck, dass der Junge von ihm erwartete, alles zu können. Er war doch nicht der Befreier von Myrtana.
    „Und warum sollte ich das denn können?“ wollte Lester wissen.
    „Naja … du hast doch gesagt, dass du und Larry aufgebrochen seid, um mich zu retten. Und Larry hat mir gesagt, dass er keine Schlösser knacken kann, also dachte ich, du kannst das. Wie hättest du mich sonst retten wollen?“ fragte Keven verwundert.
    „Tja, … ehrlich gesagt, hab ich da gar nicht so weit gedacht.“
    Keven fiel die Kinnlade herunter. Herbert stöhnte.
    „Hab ich mir doch gedacht“, brummte er. „Was glaubst du denn wie die Assassinen ihre Sklaven sichern? Glaubst du, die lassen sie einfach weglaufen? Entweder ist man in einem Käfig eingesperrt, oder irgendwo festgekettet, oder beides. Denkst du die Sklavenringe sind nur zur Dekoration da?“
    „Ich hab einfach nicht so weit gedacht, okay?“, sagte Lester sauer, weil er sich rechtfertigen musste. „Ich wollte Keven einfach befreien.“
    „Also wenn Shakyor nicht mitgekommen wäre, hätten wir dann im Wohnquartier des Tempels herumgestanden und hätten Keven gar nicht befreien können, wahrscheinlich wären wir aufgeflogen und jetzt alle Sklaven, oder vielleicht sogar tot“, fasste Herbert zusammen.
    „Vermutlich“, grollte Lester und verzog das Gesicht.
    Keven sackte ein Stück weit in sich zusammen. Obwohl er wusste, dass es grausam war, sagte Lester, damit der Junge endlich aufhörte ihn wie einen Held zu betrachten: „Ich hab noch nie jemanden aus der Sklaverei befreit. Woher hätte ich denn wissen sollen worauf ich mich da einlasse? Ich wollte dir einfach helfen. Jemand Kluges hätte sich vorher vermutlich einen guten Plan ausgedacht und naja … immerhin kam Shakyor ja dann und hat sich diesen klugen Plan überlegt und er konnte Schlösser knacken.“
    Keven sagte nichts. Er ließ den Kopf hängen und es war nicht zu sagen was gerade in ihm vorging.
    „Ich bin kein großer Held, ich bin kein Anführer, ich bin nicht der große Befreier der Sklaven“, stellte Lester klar.
    „Aber du hast mich befreit“, sagte Keven langsam und sah Lester lange an.
    „Ja, aber ohne Shakyor wäre das wohl wirklich nichts geworden.“
    „Also ich finde deine Idee die Sklaven freizukaufen gut. Vielleicht retten wir damit nicht alle Sklaven aus Mora Sul, aber doch immerhin ein paar und jeder Sklave, der befreit wird, hat eine Chance auf ein glücklicheres Leben“, sagte Keven, der sich schnell von diesem Rückschlag erholt zu haben schien.
    Herbert seufzte und sagte dann: „Na schön, aber wenn du das wirklich durchziehen willst Lester, dann solltest du einiges über die Assassinen wissen. Sie leben nach einer Art Codex, dessen erste Regel ist: „Reichtum ist alles“. Wenn du die Assassinen mit richtig viel Gold ködern kannst, dann werden sie vielleicht so gierig, dass ein Besitzer tatsächlich all seine Sklaven verkauft, in dem Glauben sich später von jemand anderem einen anderen Sklaven zu einem guten Preis beschaffen zu können. Die Sklavenbesitzer dürfen also nicht wissen, dass gerade alle Sklaven aus Mora Sul freigekauft werden.“
    Lester nickte. Das war gut zu wissen.
    „Aber wo bekommen wir so viel Gold her?“ fragte Keven besorgt.
    „Wir müssen eben mehr Sumpfkraut verkaufen“, schlug Lester vor. „Da die Leute in Trelis und Kap Dun kaum noch Gold für Sumpfkraut rausrücken werden, müssen wir wohl mit den Assassinen handeln.“
    „Aber dein Kumpel Diego sagte doch, wir sollten nicht mit ihnen handeln, weil das für Aufsehen sorgt“, gab Herbert zu bedenken.
    „Es ist ein Risiko, aber wenn ich das wirklich durchziehen soll, dann weiß ich nicht, wie ich das anders machen soll. Wir brauchen das Gold. Ich könnte ja mit unserer nächsten Ernte nach Mora Sul gehen, dort das Sumpfkraut verkaufen und die Händler gleich nach den Sklaven ausfragen, unter dem Vorwand, dass ich neue Arbeiter für meine Sumpfkrautplantage brauche. Das hört sich dann auch logisch an. Wozu sollte ich sonst so viele Sklaven brauchen?“
    Für Lester hörte sich das nach einem guten Plan an und auch Keven nickte ganz eifrig, doch Herbert sah wohl wieder ein Haar in der Suppe und entgegnete: „Ja, das hört sich schon nachvollziehbar an, aber glaubst du nicht, die könnten auf die Idee kommen sich die Sklaven dann später zurückzuholen? Wer Sklaven hält, der hat auch Wächter, die darauf aufpassen, dass die Sklaven nicht entkommen, oder von anderen geklaut werden. Du hast aber keine Wächter. Die Assassinen könnten auf die Idee kommen sich dir dein Gold zu nehmen, die Sklaven an dich zu geben und sie sich später einfach wieder zurückzuholen.“
    „Oh je, das ist alles viel komplizierter, als ich dachte“, stöhnte Lester, rieb sich übers Gesicht und schnippte dann seinen aufgerauchten schwarzen Weisen weg.
    „Hat ja auch keiner gesagt, dass es einfach werden würde die Sklaven zu befreien“, sagte Herbert.
    „Aber sie müssen befreit werden“, sagte Keven drängend. „Wir können doch nicht zulassen, dass sie alle weiterhin in ihrem Elend leben müssen. Wir könnten doch die Nomaden fragen, damit sie uns helfen. Sie könnten draußen vor der Stadt warten und wenn die befreiten Sklaven dann bei ihnen sind, können die Assassinen sie nicht mehr zurückholen.“
    Er war ganz aufgeregt und freute sich offensichtlich, dass er Lester endlich dazu überredet hatte etwas gegen die Sklaverei zu tun.
    „Heißt wir müssen noch die Nomaden dazu überreden ihren eigenen Plan sausen zu lassen“, sagte Lester, der Zweifel hatte, ob die Nomaden dem zustimmen würden.
    „Ich glaub nicht, dass sie da mitmachen. Ehrlich gesagt kann so viel schiefgehen bei deinem Plan“, sagte Herbert zweifelnd.
    „Ich glaub, alles wird gut gehen. Letztes mal hat Lester es doch mit seiner Magie auch geschafft uns zu retten“, fing Keven wieder damit an.
    Schnell zog Lester einen weiteren Stengel Sumpfkraut hervor, diesmal nur einen grünen Novizen. Das Rauchen gab ihm einen kurzen Aufschub etwas dazu sagen zu müssen, doch letztendlich kam er nicht drumherum.
    „Was glaubt ihr? Wie viel Gold werden wir brauchen, um die Assassinen zu bestechen?“
    „Schwer zu sagen“, meinte Herbert und rieb sich durch den krausen Bart.
    „Naja, wie viel ist denn normalerweise ein Sklave wert?“ fragte Lester ahnungslos.
    Herbert und Keven tauschten einen verwunderten Blick und sahen dann wieder Lester an. Es war ganz offensichtlich, dass sie seine Frage naiv fanden.
    „Es gibt keinen einheitlichen Preis für einen Sklaven“, fing Keven an und Herbert setzte hinzu: „Ist doch kein Stück Brot, oder so, dass immer gleich viel kostet und selbst da schwanken die Preise. Der Markt regelt die Preise. Angebot und Nachfrage. Wenn es viele Sklaven gibt, dann fällt der Preis. Werden es weniger, steigt der Preis. Du bist doch ein Geschäftsmann, du solltest das eigentlich wissen.“
    Lesters Stirn furchte sich.
    „Bin ich das?“
    Herbert stöhnte und verdrehte die Augen.
    „Na verkaufst du jetzt unser Sumpfkraut, oder nicht? Vielleicht sollten wir nächstes mal mit dir kommen.“
    „Letztes mal hat mir Diego geholfen“, gab Lester zu.
    „Und sonst?“ wollte Herbert wissen.
    „Wie sonst?“ wusste Lester nicht worauf er hinaus wollte.
    „Na sonst? Wie war es sonst? Früher in der Bruderschaft“, bohrte Herbert nach.
    „Da hat Fortuno das Kraut verkauft. Hm… was wohl aus ihm geworden ist?“
    Lester kratzte sich am Kopf. Der Held hatte ihm mal erzählt, dass er Fortuno im Banditenlager begegnet war. Darüber war Lester froh, denn abgesehen von Angar und Fortuno wusste er von keinem aus der Bruderschaft, der noch lebte.
    „Mit anderen Worten du hast keine Ahnung vom Geschäft“, brummte Herbert verstimmt. „Besser ich komme nächstes Mal mit dir mit. Während meiner Zeit als Sklave habe ich sicher mehr übers Geschäft gelernt, als du bei der Bruderschaft.“
    „Ich komme dann aber auch mit. Ich will nicht allein zurückbleiben“, sagte Keven sofort.
    „Na schön, von mir aus“, sagte Lester und rauchte weiter. „Aber was machen wir jetzt wegen dem Preis? Woher sollen wir jetzt wissen wie viel Gold wir brauchen?“
    „Zu viel können wir nie haben. Regel elf besagt: „Der Beste Handel ist der, der am meisten Gold einbringt.“ Wir müssen versuchen so viel Gold wie möglich ranzuschaffen“, antwortete Herbert. „Und Regel Nummer zwei des Assassinen Codes besagt: „Der Wert eines Menschen ergibt sich aus seinen Fähigkeiten und seinem Besitz.“ Da Sklaven nichts besitzen richtet sich ihr Wert ausschließlich nach ihren Fähigkeiten und ihrem Zustand. Wer nicht viel kann wird meist für harte körperliche Arbeit eingesetzt. Sind die Sklaven dann zu kaputt um weiter zu arbeiten werden sie oft getötet, weil die Assassinen sie dann nicht mehr durchfüttern wollen. Junge Sklaven werden oft im Haushalt verwendet, weil man ihnen noch leicht etwas beibringen kann und sie nicht so viel zu Essen brauchen. Gute Kämpfer sind viel Wert. Sie werden meist in der Arena als Gladiatoren eingesetzt. Es gibt aber auch Leute, die da freiwillig kämpfen, warum auch immer man so verrückt sein sollte.“
    Herbert rieb sich ratlos übers Gesicht und hing einen Moment seinen eigenen Gedanken nach.
    „Das heißt, ich muss dann echt für jeden einzelnen Sklaven einen extra Preis aushandeln?“ fragte Lester erschrocken.
    „Ja, natürlich“, sagte Herbert, so als wäre das selbstverständlich.
    „Oh Mann, ich wünschte mir Diego würde mit mir gehen. Der kann sowas“, sagte Lester verzweifelt.
    „Wir könnten ihn ja fragen, wenn er mal wieder vorbei kommt“, schlug Keven vor.
    „Wenn er überhaupt in nächster Zeit vorbeikommt. Er war bestimmt nur zu Besuch, weil er eh wegen seiner Geschäfte nach Varant kam und ich weiß nicht wie es in Mora Sul gelaufen ist. Als wir letztes Mal zusammen dort waren, war die Stimmung ordentlich am Kochen. Entweder hat sich die Lage beruhigt, oder er ist heimlich zu seinem alten Haus geschlichen. Ich hätte ihn wirklich fragen sollen was er da eigentlich gemacht hat.“
    Lester nahm sich vor, mehr zu fragen, denn wenn er so darüber nachdachte wusste er erstaunlich wenig darüber was seine Freunde im Moment eigentlich machten.
    „Ja, hättest du“, stimmte Herbert zu.
    Lester seufzte und fragte resigniert: „Warum legen die Assassinen überhaupt so viel Wert auf Reichtum? Was wollen sie mit all dem Zeug? Wozu das alles?“
    Herbert lachte etwas steif und erklärte dann: „Das ist Regel drei: „Ein Assassine ohne Besitz ist kein Assassine.“ Besitz ist ganz essentiell für einen Assassinen. Nur wer hat ist jemand. Deswegen werden neugeborene Assassinen auch gleich von ihrer Familie beschenkt und verstorbene Assassinen bekommen einen Teil ihres Besitzes als Grabbeigabe. Der andere Teil wird natürlich an ihre Hinterbliebenen verteilt, damit die nicht sofort auf die Idee kommen alles im Grab zu plündern. Besitz ist ein ganz essentieller Teil ihrer Kultur.“
    „Also schön, dann müssen wir versuchen so viel Sumpfkraut wie möglich anzubauen, zu ernten und zu verkaufen, um mit dem erwirtschafteten Gold dann die Sklaven freikaufen zu können“, fasste Lester noch einmal zusammen. „Vielleicht können wir einen Teil des Sumpfkrauts auch gleich direkt gegen die Sklaven eintauschen.“
    „Und wir müssen mit den Nomaden reden, damit sie uns bei unserem Vorhaben unterstützen“, erinnerte Keven Lester daran.
    „Gut, wenn Shakyor das nächste Mal in Lago auftaucht, werde ich ihm von unserem Plan erzählen“, erklärte Lester.
    „Aber wir wissen gar nicht, wann er das nächste Mal kommt. Vielleicht greifen sie bis dahin schon allein Mora Sul an“, gab Herbert zu bedenken.
    „Glaube ich nicht und wenn … wäre das schlimm? Aber ich wüsste auch gar nicht wo ich nach den Nomaden suchen sollte. Sie ziehen doch immer von einem Ort zum anderen durch die Wüste“, sagte Lester.
    „Na gut, wenn das der Plan ist, dann sollten wir nicht länger hier herumliegen“, sagte Herbert, stand auf und klopfte sich notdürftig den Sand von den Kleidern. „Wir werden hart arbeiten müssen, um genug Gold mit dem Sumpfkraut zu erwirtschaften. Richtig hart arbeiten, verstehst du?“
    Er sah Lester bedeutsam an.
    „He, ich kann hart arbeiten“, sagte Lester empört.
    „Na, da bin ich gespannt, denn bisher haben wir es uns ja vor allem gut gehen lassen“, meinte Herbert.
    Lester stand seufzend auf und zu dritt gingen sie zur Sumpfkrautplantage zurück. Treu folgte Waldi ihnen und wachte über sie. Bis zum Mittag arbeiteten sie. Die neue Ernte war bereits eingefahren, doch da sie nun wesentlich mehr Sumpfkraut produzieren wollten, sollte das Kraut nun in Kesseln gestampft werden, die sie von Bernd bekamen. Das ging schneller als jede Pflanze einzeln zu zerschneiden war aber auch viel anstrengender. Die Arbeit war ermüdend und schweißtreibend und deswegen wechselten sie sich ab. Weil er spürte, dass seine Freunde immer noch in dunkle Gedanken versunken waren, versuchte Lester etwas Leichtigkeit zu verbreiten. Mittags schlug er eine Abkühlung in der Bucht vor. Es war herrlich das verschwitzte muffige Oberteil loszuwerden und sich im kühlen Wasser zu erfrischen. Er warf einen Stock und wies Waldi an ihn zu holen. Lester hatte den Eindruck, dass dem Wolf das Holen, Bringen und Schwimmen gefiel. Bald beteiligte sich auch Keven an dem Spiel. Dann schwammen sie um die Wette.
    „Hör auf mich nasszuspritzen!“ beschwerte sich Herbert.
    „Ich dachte du machst vielleicht gerne bei der Wasserschlacht mit“, antwortete Lester grinsend.
    Es kam nur ein verstimmtes Brummen zurück. Keven hatte aber viel Freude daran im Wasser herumzuspielen, zumindest bis Lester ihn unter die Oberfläche drückte was eine Panikattacke bei ihm auslöste.
    „Tut mir Leid“, versuchte sich Lester zu entschuldigen, als er merkte, dass er sich falsch verhalten hatte.
    „Denk doch mal nach Lester!“ schimpfte Herbert, der den immer noch zitternden Keven aus dem Wasser half und ihn ans Ufer brachte, wo er sich beruhigen sollte.
    Lester fühlte sich schlecht. Er hatte das Gefühl nie etwas richtig machen zu können. Mit seinen Brüdern aus dem Sumpf hatte er öfter bekifft im See des Wasserfalls dummes Zeug gemacht. Es war eigentlich immer ein großer Spaß gewesen, selbst wenn es himmelschreiender und gefährlicher Blödsinn war. Er erinnerte sich daran wie er Harlok auf die Idee gebracht hatte vom Wasserfall herunterzurutschen, aber er hätte nicht gedacht, dass er das auch wirklich machen würde. Doch Harlok hatte noch mal kräftig einen durchgezogen und war dann losgewandert, hatte von oben noch mal gewunken und sich dann in die Fluten gestürzt. Nun, er hatte überlebt und es war ja wirklich schneller gegangen als den Weg hinunter zum Lager zurückzulaufen, doch Baal Cedar hatte ihn heilen müssen, damit er wieder aufrecht gehen konnte. Seitdem hatten die Gurus Harlok auf dem Kieker gehabt. Rückblickend betrachtet wusste Lester eigentlich gar nicht mehr so recht was denn so lustig an der ganzen Sache gewesen war, aber damals hatte er es als großen Spaß empfunden.
    Während er die Reusen kontrollierte und dabei zwei Fische fand, die er aufspießte und zum Lager zurückbrachte, überlegte er was er tun konnte, um mehr Leichtigkeit ins Leben zu bringen. Bestimmt war die Antwort Sumpfkraut.
    Herbert hatte am Ufer ein Feuer entfacht, auf dem er nun die beiden Fische nacheinander in einer Pfanne briet. Er sagte nichts und Lester fragte sich, ob er sauer auf ihn war. Deswegen legte sich Lester ein Stück entfernt ans Ufer und ließ sich von der Sonne trocknen. Waldi schüttelte sich neben ihm das Wasser aus dem Pelz und legte sich nach einem tiefen Schnaufen neben ihm ans Ufer. Gemächlich zog Lester einen grünen Novizen hervor und zündete ihn sich an. Durch das Rauchen fühlte er sich schon besser. Entspannt guckte er in den blauen Himmel hinauf, auf dem träge einige weiße Wölkchen dahinzogen. Er merkte, wie sich Keven neben ihn setzte, doch der Junge sagte nichts. Sollte er sich noch einmal bei ihm entschuldigen? So recht wusste Lester nicht was er sagen sollte. Deshalb ließ er es bleiben. Als der grüne Novize aufgeraucht war, zündete er sich den nächsten an.
    „Was ist?“ fragte er aber nach einiger Zeit, als es ihm unangenehm wurde, dass Keven ihn so anstarrte.
    „Deine Tattoos sind große Kunst. Ich könnte sie stundenlang ansehen. Es ist fast wie ein Labyrinth. Wer hat sie gemacht?“
    Lester runzelte die Stirn und versuchte sich zu erinnern.
    „Baal Tondral, glaube ich…“
    „Glaubst du?“ fragte nun Herbert spöttisch, der sich zu ihnen setzte und die Fische mitgebracht hatte.
    Den größeren teilte er sich mit Lester. Keven erhielt einen ganzen Fisch.
    „Ganz sicher bin ich mir nicht. Die Tätowierung gehörte zum Aufnahmeritus. Man bekam den Kopf geschoren und jede Menge Sumpfkraut zu rauchen und dann hat sich der Guru an die Arbeit gemacht. Mit einem kleinen Messer wurde die Haut aufgeritzt und die Farbe eingebracht“, erklärte Lester.
    „Und woher hattet ihr die Farbe?“ fragte Keven neugierig.
    „Na von den Sumpfkrautpflanzen“, sagte Lester schulterzuckend, ganz so als wäre das selbstverständlich.
    Herbert lachte.
    „Hört sich an als hättet ihr wirklich alles mit Sumpfkraut gemacht. Sumpfkraut, die Lösung für alles!“
    Er streckte seinen rechten Arm hoch und hörte sich spöttisch, aber auch verstimmt an, doch Lester wusste nicht wie er die angespannte Situation lösen sollte.
    „Ich hätte auch gerne solche Tattoos“, sagte Keven leise.
    Er starrte immer noch auf die Linien, die Lesters Körper überzogen und folgte ihnen mit den Augen. Lester schwieg, was Keven wohl leicht nervös werden ließ. Er holte tief Luft und es kam Lester vor, als würde der Junge allen Mut zusammennehmen, um zu fragen: „Kannst du mir auch solche Tattoos machen?“
    Die rechte Augenbraue hebend sah Lester Keven prüfend an.
    „Wenn man einmal diese Tattoos hat, dann bleiben sie auch.“
    „Ich weiß. Gerade das möchte ich ja. Ich möchte mich für immer zugehörig fühlen“, ließ Keven nicht locker.
    „Die Bruderschaft gibt es aber nicht mehr. Diese Tattoos sind Relikte einer gescheiterten Gemeinschaft“, sagte Lester.
    Er hatte gleichgültig klingen wollen, aber er konnte nicht verhindern, dass es etwas traurig klang. Auch wenn er wusste, dass es falsch gewesen war zum Schläfer zu beten, ihm hatte das Leben in der Bruderschaft im Großen und Ganzen gefallen.
    „Wir könnten ja eine neue Bruderschaft gründen“, sagte Keven und seine Augen bekamen einen aufgeregten Glanz.
    Lester schaute überrascht. Herbert lachte kurz auf und sagte dann: „Und Lester ist dann unser Guru, oder was?“
    Nun schaute Lester erschrocken, stöhnte dann und hielt sich eine Hand vor die Augen.
    „Bloß nicht“, murmelte er. „Ich brauch nun echt nicht noch mehr Verantwortung.“
    „Also so viel Verantwortung hast du jetzt auch nicht Lester“, meinte Herbert grinsend. „Du liegst hier unbeschwert im Ufermatsch und guckst in die Wolken. Ein Wolkenschieber bist du.“
    Er stupste ihn an und wieder lachte er. Seine Anspannung war wohl verflogen. Auch Keven zündete sich nun einen grünen Novizen an, vielleicht um zu betonen, dass er diese neue Bruderschaft aufbauen wollte.
    „Ich fände das gut. Von dem was du von der Bruderschaft erzählt hast, hört es sich toll an. Zusammenhalt, Gemeinschaft. Ich war immer allen egal, aber mit euch, da fühle ich mich als Teil von etwas und ich möchte, dass es weiterhin so bleibt.“
    Lester atmete einmal tief durch, richtete sich dann auf und warf seinen aufgerauchten grünen Novizen weg.
    „Hör zu, von mir aus kannst du dir Tattoos stechen lassen so viele du willst, aber ich kann das nicht.“
    „Du könntest es ja einfach mal versuchen“, ermutigte Keven ihn.
    Wieder begann Herbert zu lachen und spottete: „Sieht dann bestimmt nach abstrakter Kunst aus.“
    „He, hör auf dich über Lester lustig zu machen!“, schimpfte Keven.
    „Wieso denn? Shakyor nennt ihn doch auch den lustigen Lester“, entgegnete Herbert, der immer noch breit grinste.
    Lester erkannte, dass er nur necken wollte, doch Keven sah dies wohl anders. Der Junge zog einen wütenden Flunsch und dachte wohl darüber nach was er Herbert als nächstes an den Kopf werfen sollte.
    „Seid ihr fertig?“ fragte Lester leicht genervt und trauerte seiner Entspannung hinterher.
    „Nein, wir fangen gerade erst an“, kam es renitent von Herbert.
    „Mit der neuen Bruderschaft“, münzte Keven seine Worte um.
    Wirklich abgeneigt schien Herbert von dieser Idee aber nicht, vielleicht wurde er gerade mit ihr warm, denn er fragte: „Und wie soll diese Bruderschaft heißen?“
    Offensichtlich milde gestimmt dachte Keven intensiv darüber nach und ignorierte Lesters Einwände.
    „Es muss doch nicht gleich eine neue Bruderschaft sein. Es reicht doch, wenn wir einfach weiter zusammen arbeiten.“
    „Nein, das reicht nicht“, meinte Keven und seine Meinung schien nun unverrückbar.
    Lester fürchtete, der Junge würde sich da in etwas hineinsteigern.
    „Wie wäre es mit der Sumpfkrautbruderschaft?“
    „Originell“, höhnte Herbert. „Aber es passt.“
    „Oder … oder“, fing Keven euphorisch an und hopste leicht auf und ab, weil er so aufgeregt war.
    „Pass auf, sonst verlierst du noch dein Sumpfkraut vor lauter Aufregung“, ermahnte Lester ihn.
    „Irgendwas mit Freiheit. Weil wir alle Sklaven aus Varant befreien wollen.“
    Kevens Augen leuchteten noch mehr als er dies sagte. Ein tiefes Seufzen kam von Lester.
    „Wie wär’s mit: Lesters Sumpfkrautbefreiungsbruderschaft?“ fragte Keven.
    „Viel zu lang“, entschied Herbert, aber ihm fiel auch etwas ein: „Die Freigeister der Sumpfkrautbruderschaft.“
    „Das hört sich gut an, ist doch aber auch so lang“, gab Keven zu bedenken.
    „Aber weil es mehrere Wörter sind, ist es nicht so kompliziert“, meinte Herbert.
    Bei so viel Enthusiasmus musste Lester sich erstmal einen schwarzen Weisen anstecken. Auch Keven hatte seinen grünen Novizen aufgeraucht und griff begeistert zum nächsten und Herbert fühlte sich von der Sumpfkrautmanie wohl auch angesteckt, denn auch er zündete sich wieder einen Sumpfkrautstengel an. Gemeinsam saßen sie also da und rauchten. Herbert begann zu lachen und als Lester ihn fragte worüber, antwortete er: „Wir haben uns hier ganz schon eingenebelt. Wir wär‘s mit: Die Nebelschwadenbruderschaft.“
    Da musste nun auch Lester lachen und er selbst schlug vor: „Oder die rauchenden Riedbrüder.“
    „Oder… oder… die Lesterschen Nebelgefährten“, lachte Herbert.
    Lester grinste breit. Worüber hatte er sich eigentlich so gesorgt? Er hatte mehr Leichtigkeit ins Leben bringen wollen und seine Freunde hatten es ganz allein geschafft. So lange sie nur darüber redeten würde es bestimmt bei bloßem Gerede bleiben und hier und jetzt hatten sie großen Spaß dabei sich immer abstrusere Namen auszudenken. Je mehr sie rauchten, umso seltsamer wurden auch die Vorschläge.
    „Lesters Freiheitsnebel Bruderschaft“ trug Herbert im Brustton der Überzeugung vor.
    „Mir gefällt das mit dem Nebel nicht“, sagte Keven, der es wohl als einziger noch ernst nahm. „Aber wie wär‘s mit: „Die Bruderschaft der Freiheitsfreidenker.“
    „Lesters Sumpfkrautrebellen“, prustete Herbert los und wischte sich eine Lachträne aus dem rechten Auge.
    „Oder die Freiheitsraucher Bruderschaft, rauchen für die Freiheit“, stimmte Lester in den Blödsinn mit ein.
    „Oder Lesters wilde Sumpfraucher“, grölte nun Herbert.
    „Oder die Freiheitsrauchfreunde“, lachte Lester.
    „Ihr nehmt das gar nicht ernst“, sagte Keven enttäuscht.
    Seine Euphorie hatte sich längst gelegt, als er gemerkt hatte, dass es für die älteren Männer nur ein Witz war. Lester und Herbert amüsierten sich noch ein wenig über ihre ausgedachten Namen, aber weil sie auf Keven Rücksicht nehmen wollten, brachten sie keine neuen Vorschläge mehr ein. Für den Jungen war das Thema wohl erstmal durch, denn er verließ die beiden Männer und ging nachdenklich am Ufer entlang zur Hütte zurück.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Vogelfrei

    Um Alejeandros Zielfähigkeit zu trainieren hatte der Held ihn heute mit in den Dschungel genommen. In den letzten Tagen hatte der Held schon mehrere Aufträge abgeschlossen und die Aufgabe dem Ornithologen die Vögel zu bringen war seine letzte offene Aufgabe in Eisenbach. Den Tag hatten sie damit verbracht im Dschungel nach Vögeln zu suchen. Oft hatte Alejandro sie durch sein Fluchen oder mit unnötigem Geraschel verscheucht. Damit ihre Bemühungen endlich von Erfolg gekrönt waren, musste der Held ihm die Grundfertigkeiten des Schleichens beibringen. Nachdem Alejandro verstanden hatte, dass der Held ihm damit einen Gefallen tun wollte, gab er sich große Mühe von ihm zu lernen. Der Held würde nicht so weit gehen und Alejandro nun einen guten Schleicher nennen, doch es hatte gereicht, damit sie die Vögel nicht gleich wieder aufscheuchten. So kamen sie nah genug heran, um die Vögel für magische Zielübungen zu missbrauchen.
    Endlich hatten sie zwei blaue Vögel vom Baum geschossen und aufgelesen.
    „Bist du dir sicher, dass der richtige Vogel dabei ist?“ fragte Alejandro den Helden.
    „Nein. Für mich sehen die beide gleich aus. Die sind beide blau.“
    Der Held hielt in der linken Hand einen toten Vogel mit einem kräftigen Blau im Gefieder und dunklem Schwarz am Kopf und an den Flügeln. In der rechten hielt er einen toten Vogel, der am ganzen Körper von einem kräftigen Himmelblau war. Alejandro legte den Kopf schräg, um im tief einfallenden Licht der untergehenden Sonne einen anderen Blickwinkel auf die Vögel vor ihm zu bekommen und sagte dann: „Naja, der eine Vogel ist dunkelblau und der andere Himmelblau, fast schon Türkis, wenn die Strahlen der Sonne in einem bestimmten Winkel auf das Gefieder fallen.“
    „Blau“, sagte der Held und gab damit zu verstehen, dass es da für ihn keinen Unterschied gab.
    „Hm… also es gäbe da verschiedene Möglichkeiten. Entweder das sind verschiedene Vogelarten, oder der eine ist noch nicht ganz ausgewachsen. Vielleicht sind die Jungen ja schwarz, um im Nest nicht so sehr aufzufallen und wenn sie dann erwachsen werden, färbt sich das Gefieder blau, um beim anderen Geschlecht auf sich aufmerksam zu machen. Könnte also sein, dass der eine Vogel noch nicht ganz ausgewachsen ist“, überlegte Alejandro scharfsinnig.
    „Werden wir sehen was der Kerl, der mir den Auftrag gab, dazu sagt“, sagte der Held knapp und steckte die beiden Vögel in seine magische Hosentasche. „Lass uns gehen.“
    Der Held lief einfach los, ohne eine Rückmeldung von Alejandro abzuwarten und der Junge eilte hinter ihm her durch den Dschungel.
    „Du warst in der letzten Woche immer bei Tareskaides und seinem Lehrling. Hast du viel von ihm gelernt?“ wollte der Held wissen.
    Alejandro sagte zuerst nichts und erst als der Held einen Blick zu ihm zurückwarf und der Junge rot im Gesicht wurde, antwortete er: „Nun … eigentlich nicht. Zumindest nichts was mit praktischer Magie zu tun hat. Er sagte, er würde nur offizielle Lehrlinge der Aquatischen Akademie unterrichten und da ich das nicht bin, würde er mir nichts beibringen. Er sagte, er dulde es, dass du mir was beibringst, aber das würde nicht bedeuten, dass er mich deswegen anders behandeln würde als andere junge Kerle, die unbedingt von ihm das Zaubern erlernen wollten. Wer Novize werden möchte, muss sich wohl unbedingt in der Aquatischen Akademie einschreiben lassen.“
    „Und möchtest du das?“ fragte der Held, der nun wieder nach vorne sah und so nicht bemerkte, dass Alajendros Gesicht einen noch tieferen Rotton annahm.
    Er fühlte sich wohl ertappt.
    „Ich … hab darüber nachgedacht, aber ich bin mir nicht sicher. Nach dem was Aycan mir berichtete, ist es mindestens genauso gefährlich ein Lehrling von Tareskaides zu sein, wie weiterhin Teil unserer Crew zu bleiben.“
    „Aber du wolltest doch immer mehr über Magie wissen. Ich hatte damit gerechnet, dass du mit Tareskaides und Aycan zur Hafenstadt gehst. Sie sind doch gestern aufgebrochen, oder?“
    „Ja“, sagte Alejandro leise und verunsichert.
    Eine lange Pause trat ein, in der nur die Vögel hoch oben in den Bäumen und das leise Geraschel der Blätter zu hören war, durch die sie sich bewegten. Da sie sich auf einem ausgetretenen Dschungelpfad befanden, musste der Held ihnen heute nicht den Weg freihacken.
    „Ich … ich … wollte mich nicht einfach so davonstehlen“, gab Alejandro zu und seiner Stimme war klar anzuhören, dass er sich ehrlich fragte, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. „Außerdem gibt es eine saftige Schulgebühr und so viel Gold habe ich nicht.“
    Er klang niedergeschlagen. Das leuchtete dem Helden ein. Auch die Feuermagier in Khorinis hatten viel Gold verlangt, damit man bei Ihnen in die Lehre gehen durfte.
    „Verstehe. Ich hätte kein Problem damit, wenn du dich den Magiern anschließt“, sagte der Held knapp.
    Wieder trat eine lange Stille zwischen ihnen ein. Die Sonne sank tiefer, berührte nun schon fast den Horizont und tauchte den Dschungel in rotes, fast schon unwirkliches Licht.
    „Ich … muss mal kurz austreten“, sagte Alejandro und blieb zurück.
    „Mach das“, sagte der Held und ging weiter.
    Er fragte sich, ob es ein Vorwand war, um doch noch zu verschwinden. Die Hafenstadt war nicht weit von hier. Alejandro müsste nur etwa dreihundert Meter durch den Dschungel gehen, um zur Hauptstraße zu kommen und von dort aus war es ein leichtes zur Hafenstadt zu finden. Vermutlich waren Tareskaides und Aycan noch dort, weil sie darauf warteten, dass ein Schiff in die Richtung auslief, in die sie wollten. Der Held würde dem Jungen keinen Vorwurf machen. Er merkte, dass er auf dem Piratenschiff nicht glücklich war. Die Magie faszinierte ihn. Doch der Held überließ es ganz Alejandro wie er sein Leben gestalten wollte. Weder wollte er ihm reinreden, noch zu irgendeinem Weg überreden. Das sollte der Junge selbst für sich entscheiden. Vielleicht war er aber wirklich nur zurückgebeblieben, um sich zu erleichtern. Vielleicht kam er ihm sogar schon wieder nach? Der Held blieb kurz stehen und wandte den Kopf. Erschrocken sprang er zurück, als nur wenige Zentimeter von seinem linken Auge entfernt ein Pfeil vorbeisauste. Sofort schoss Adrenalin in seine Venen und er sprang zurück ins Dickicht und hielt einen Feuerball bereit. Hektisch sah er sich um. Wenn ein Fernkämpfer es auf ihn abgesehen hatte, dann könnte der sich überall hier im Dickicht befinden. Er sah um sich her nur Urwaldblätter und hohe Bäume. Nichts Verdächtiges raschelte. Er hörte nichts ungewöhnliches, er sah nichts Ungewöhnliches. Wer hatte es auf ihn abgesehen? Er beschwor erneut das Irrlicht herauf und wies es an, für ihn nach Pfeilen zu suchen, denn er hoffte so seinen Gegner zu finden. Gehorsam leuchtete das Irrlicht und flog los, doch kaum hatte es sich in Bewegung gesetzt wurde es von einem Pfeil getroffen. Das treue Irrlicht sirrte zu einem kleinen Funkeln am Boden zusammen, wo es hilflos vor sich hinschimmerte, in der Hoffnung, der Held würde es ins rettende Amulett zurückrufen, doch dafür hatte der Held jetzt keine Zeit. Wer so genau traf, der befand sich entweder in unmittelbarer Nähe, oder war ein Meisterschütze. Beides beunruhigte den Helden und das sollte schon etwas heißen. Instinktiv duckte sich der Held weg, als er erneut ein Sirren vernahm, was ihm das Leben rettete. Ein Pfeil streifte seine gossenköterblonden Haare, ging aber noch an ihm vorbei. Ein zweiter Pfeil aus einer anderen Richtung traf ihn jedoch direkt im Kiefer. Der Knochen splitterte, was dem Helden ein schmerzgeplagtes Stöhnen entlockte. Er warf sich zu Boden und kroch zwischen die dichten breiten Blätter, hielt dann aber inne, um den Pfeil loszuwerden und einen Heilzauber anzuwenden. Doch wie er an seinen betäubten Sinnen und schwindendem Sichtfeld feststellte, genügte das nicht, denn der Pfeil war vergiftet. Er musste auch noch einen Gegengiftzauber sprechen, um sein Leben zu retten, denn dieses Gift wirkte schnell. Mehr als ein paar Sekunden wären ihm nicht mehr geblieben. Jemand hatte es auf ihn abgesehen und da die Pfeile aus verschiedenen Richtungen kamen, waren es mindestens zwei Feinde. Er blieb zwischen den dichten Blättern des Urwalds verborgen und überlegte sich seine nächsten Schritte. Durch die letzten Angriffe kannte er die ungefähre Richtung, aus der er angegriffen wurde. Einer war von links oben gekommen, der andere von schräg rechts, aber vom Boden her. Mindestens einer der Gegner saß also oben im Baum. Es würde schwer werden ihn zu finden und dann auch noch zu treffen. Er brauchte Zeit und beschwor daher einen Golem herauf, um ihm als Schutzschild zu dienen. Der Zauber verriet seinen Feinden aber auch, wo genau er sich im Gebüsch befand. Die Folge war, dass weitere Pfeile um ihn herum einschlugen. Der Held rollte herum und warf sich hinter den Golem, von dem die vergifteten Pfeile abprallten. Der Golem stampfte los, weil er einen der Feinde lokalisiert hatte. Um seinen Schutzschild nicht zu verlieren, sprang der Held auf und blieb hinter ihm. Doch da sich die beiden Gegner in unterschiedlichen Richtungen befanden, taugte der Golem nur noch als Schutz vor einem seiner Feinde. Der Held beschwor wieder das Irrlicht herauf, um den zweiten Gegner entweder aufzuspüren, oder beschäftigt zu halten. Es funktionierte. Pfeile sausten um das Irrlicht herum, das nun angestochen hektisch und unvorhersehbar herumschwirrte. Währenddessen hatte der Golem sein Ziel erreicht. Er prügelte scheinbar aufs Buschwerk ein, doch dort hielt sich jemand versteckt. Eine schlanke in schwarzes Leder gekleidete Frau mit geflochtenem schwarzen Haar und scharf geschnittenen Gesicht rollte gekonnt aus dem Buschwerk heraus und brachte sich sofort wieder in eine Angriffsposition, indem sie den Helden nun kniend aus einem freien Winkel anvisierte, doch der Held war schneller. Schon hatte er zwei Feuerbälle auf sie abgeschossen. Sie musste ihren Angriffsversuch also abbrechen, um sich zu Boden zu werfen, um den Feuerbällen zu entgehen. Doch der Golem kam herbeigestampft und hieb eine steinerne Faust nach ihr. Geschickt rollte sie sich herum und mit unglaublicher Schnellkraft nutzte sie ihren Schwung um wieder auf die Füße zu kommen und ins nächste Gebüsch zu springen. Der Held wollte ihr nachsetzen, doch ein Pfeil hatte seine Rüstung am Rücken durchschlagen und wenn er nicht an der Vergiftung sterben wollte, musste er sich erstmal zwischen die Bäume zurückziehen und seine Wunde versorgen. Währenddessen sah er dabei zu wie sich die Frau nun einen spannenden Kampf mit dem Golem lieferte. Sie hatte nun ihre Taktik geändert. Statt weiter zu schießen, hatte sie den Bogen um ihre Schulter gelegt und warf nun mit kleinen Töpfen nach dem Golem. Als sie auf dem harten Stein zersplitterten, sah der Held, dass sie mit Teer gefüllt waren. Der Golem war nach mehreren Würfen mit schwarzem Teer bedeckt, den ein brennender Pfeil, der oben von einem Baum kam, entzündete. Der brennende Golem ließ sich gar nicht groß davon stören und hieb weiter nach seiner Gegnerin aus, die jedoch zu schnell und geschickt war, um von den plumpen Hieben getroffen zu werden. Noch war dem Helden nicht klar, was das bringen sollte, doch er war sich sicher, dass diese gewieften Gegner etwas damit bezwecken wollten. Ihm war wichtig alles weitere zu unterbinden und das möglichst schnell. Er hatte nun einen Feuersturm ausgerüstet, lud ihn auf und schoss ihn auf seine Gegnerin ab, als sie gerade besonders günstig stand. Sie rollte nach links, so dass der Golem ihr folgte und nun direkt vom Feuersturm getroffen wurde. Das Feuer züngelte gleißend hell und noch höher auf. Die Augen des Helden wurden groß. Er musste zugeben, dass er dumm gehandelt hatte. Obwohl die Lage so ernst war, kam er nicht umhin diesen Kampf zu genießen. Endlich mal wieder eine Herausforderung. Die Schnelligkeit und das Geschick seiner Gegner beeindruckte den Helden. Indem er im Zickzack lief, wich er einigen Pfeilen aus, die der andere Gegner im Baum weiterhin auf ihn abschoss. Er bemerkte, dass er langsam aus seiner Reichweite kam, denn die Geschosse flogen mit weniger Kraft und verfehlten ihn immer weiter. Seine Feindin am Boden hatte nun ein tönernes Gefäß aus ihrer Tasche hervorgeholt und warf es auf den brennenden Golem. Es zerschellte und sofort gab es eine heiße Explosion, die den Helden, der sich unmittelbar neben ihm befunden hatte, glatt von den Füßen riss. Einige Blätter und Büsche neben ihm qualmten und die Botanik, die vom Teer benetzt wurden war, brannte. Dem Golem fehlte ein großes Stück seines Oberkörpers, das sich rund um ihn verteilt hatte. Die untere Hälfte zerfiel zu leblosem Stein. Stöhnend kämpfte sich der Held unter den Bröckchen seines Golems hervor. Es hatte ihn übel mitgenommen. Mehrere Knochen waren gebrochen, einer gar zertrümmert. Doch es half nichts zu murren. Unerbittlich kämpfte er sich zurück auf die Füße. Diesmal wollte er seine Feindin mit einem Eisblock einfrieren, damit sie endlich Ruhe gab. Er hatte die Rune bereits ausgewählt, hatte die Hand gehoben und wollte den Zauber anwenden, doch urplötzlich überkam ihn eine eigentümliche Empfindung. Angst.
    Er stand stocksteif da und konnte sich nicht rühren. Er wollte endlich den Zauber sprechen, doch es ging nicht. Seine Muskeln, ja, selbst seine Gedanken gehorchten ihm nicht mehr. Nicht einmal mehr die Stirn konnte er runzeln. Er starrte geradeaus, unfähig zu begreifen was passiert war.
    „Ah, endlich“, hörte er die Frau schwer atmend sagen.
    Auch sie war von der Explosion von den Füßen gerissen wurden und es hatte sie arg mitgenommen. Ihr Gesicht war bereits angeschwollen und blutete. Ruß und Schmutz überzogen ihren Körper und ihre praktisch geschnittene Lederrüstung. Ihr Haar hatte sich gelöst. Sie strich es sich umstandslos aus dem Gesicht, um den erstarrten Helden besser zu sehen. Sie atmete schwer.
    „Ist ein ganz schön harter Brocken. Hätte ich gar nicht gedacht.“
    Der Held fragte sich im ersten Moment mit wem sie sprach. Doch dann ging ihm auf, dass sie bestimmt mit dem anderen Gegner sprach, den er bisher noch nicht einmal zu Gesicht bekommen hatte. Es kam keine Antwort. Das verwirrte ihn nur noch mehr. Immer noch versuchte er verzweifelt sich zu wehren und frei zu kommen, von was auch immer ihn da festhielt. Er versuchte seine Muskeln zu zwingen sich zu bewegen. Er hörte ein angestrengtes Keuchen nur einige Meter hinter sich. Offenbar hatten seine Anstrengungen etwas bewirkt und endlich verstand er, dass ihn jemand mit einem psychischen Zauber festhielt. Es musste der Zauber Kontrolle sein. Er hatte ihn bisher nur im Sektenlager im Minental gesehen und ihm bisher keine große Aufmerksamkeit gewidmet. Ein tödlicher Fehler wie er nun feststellen musste. Offenbar kannten diese beiden Angreifer seinen Wert, denn so lange die Frau, die hinter ihm stand, denn eine Frau musste es ihrer hohen Stimme nach zu urteilen sein, ihn weiterhin mit dem Zauber gefangen hielt, konnte er sich nicht rühren und war somit hilflos seinen Feinden ausgeliefert. Er tobte innerlich. Sein ganzes Wesen bäumte sich gegen die Gefangenschaft im eigenen Körper auf. Wieder keuchte die Frau hinter ihm, nun angestrengter. Sie musste sich offenbar sehr stark auf den Zauber fokussieren, um ihn noch aufrechterhalten zu können. Vermutlich hatte es sie auch einiges an Zeit gekostet vom Baum herunterzukommen und ihrer Mitstreiterin zu Hilfe zu eilen.
    „Strengt dich offenbar schwer an diesen Kerl unter Kontrolle zu halten“, sagte die Frau, die gegen den Golem gekämpft hatte, überrascht.
    Sie kam nun näher heran, blieb etwa vier Meter von ihm entfernt stehen und holte ihren Bogen vom Rücken.
    „Schade, ich hatte gehofft, wir könnten noch etwas Spaß mit ihm haben, doch so wird es wohl ein schneller Tod sein.“
    Der Held stemmte sich mit all seiner Willenskraft gegen den feindlichen Zauber. Er musste los kommen, er musste einfach. Seit langer Zeit empfand er tiefe fast schon panische Angst. So hatte er sich nicht gefühlt, als er sich gegen den Schläfer gestellt hatte, nicht einmal als er gegen die Drachen kämpfte. Viel mehr als jedes Ungeheuer fürchtete er keine Gewalt mehr über sich selber zu haben, einer Situation vollkommen hilflos ausgeliefert zu sein. Und genau in so einer Situation befand er sich jetzt gerade. Er konnte nichts weiter tun, als verzweifelt gegen den Zauber anzukämpfen, doch mit jeder Sekunde, die viel zu schnell verstrich, wurde ihm schmerzlich bewusst, dass all seine Anstrengungen umsonst waren. Er würde nicht freikommen. Er würde es nicht schaffen, sich irgendwie loszureißen, seine Waffe zu greifen, oder einen Zauber zu sprechen, um seine Angreifer zu erledigen. Die Frau vor ihm hatte nun einen vergifteten Pfeil an die Sehne gelegt und zog sie straff. Pfeil und Arm bildeten eine perfekte Linie. Aus dieser Entfernung konnte sie ihr Ziel unmöglich verfehlen und ihr Ziel war sein ungeschützter bloßer Hals.
    Das Herz des Helden schlug nun, da er das Ende direkt vor sich sah, schnell und heftig. Er spürte es ganz deutlich in seiner Brust. Kalter Schweiß brach ihm aus.
    „Ah!“
    Ein plötzlicher Schrei hinter ihm ertönte und der Held war frei. Er zögerte nicht und warf den Eisblockzauber gerade noch rechtzeitig auf die Frau vor ihm, dann wirbelte er herum und sah die Magierin, die den Kontrollzauber gesprochen hatte. Von Gestalt, Aussehen und Ausrüstung ähnelte sie der anderen Frau, nur dass diese braune kurzgeschorene Haare hatte und mit dem Rücken zu ihm stand. Sie sah sich nach dem neuen Gegner um, der sie mit einem Eispfeil angegriffen und so aus ihrer Konzentration gerissen hatte. Es war Alejandro, der auf dem Zwielicht beschienen Pfad stand, kreidebleich im Gesicht und nun vor Aufregung und überschießendem Adrenalin wie verrückt zitterte. Der Held verschwand keine Zeit damit sich zu wundern, zog sein Bastardschwert, rannte nach vorn, griff die Frau im Genick und stieß ihr das Schwert kraftvoll in den schmalen Rücken. Ihre leichte Lederrüstung bat keinen wirklichen Schutz gegen seinen verheerenden Angriff, so dass ihr Leib von der Klinge durchbohrt wurde. Sie gurgelte vom vielen austretenden Blut unverständliche Worte hervor, verdrehte die braunen Augen, zuckte unkontrolliert und ging dann zu Boden. Umstandslos zog der Held die Bastardklinge aus ihrem Körper und wandte sich nun der eingefrorenen Angreiferin entgegen, um sie ebenfalls zu töten. Es war einfach, nun da sie sich nicht rühren konnte. Kurz ging dem Helden durch den Kopf, dass sie nun in der gleichen Position war, wie er vor nicht einmal einer Minute. Mitleidslos erledigte der Held auch sie. Von Adrenalin getrieben hatte er zugeschlagen ohne nachzudenken. Schwer atmend sah er auf ihren toten Körper hinab.
    „Wer … wer waren die?“ fragte Alejandros dünne Stimme.
    „Keine Ahnung“, antwortete der Held kopfschüttelnd.
    „Dann hättest du sie besser am Leben gelassen und sie ausgefragt“, sagte Alejandro, der nun neben ihn trat und auf die tote Frau hinabsah.
    „Hätte ich wohl besser, da hast du Recht“, musste der Held zugeben. „Aber sie waren eine große Gefahr. Ich habe noch keine Frau so kämpfen sehen. Genau genommen, habe ich noch überhaupt gar keinen so kämpfen sehen. So geschickt, so schnell, es war fast schon als würde man versuchen gegen Rauch zu kämpfen.“
    Alejandro sah seinen Entertruppführer verwundert an.
    „Die wollten dich umbringen, aber du hörst dich beeindruckt an.“
    „Weil es ihnen fast gelungen wäre“, sagte der Held anerkennend.
    Endlich löste er den Blick von der toten Frau und sah Alejandro an. Wärme lag in seinem Blick und er legte seine kräftige rechte Hand auf Alejandros schmale linke Schulter.
    „Danke, dass du mich da rausgehauen hast. Wenn dein Eispfeil ihre Konzentration nicht durchbrochen hätte, hätte sie mich kalt gemacht.“
    Alejandro war noch zu erschüttert von der Situation, in der sie bis eben noch gewesen waren, um das Lob genießen zu können.
    „Ehrlich gesagt hab ich mich zuerst nicht getraut einzuschreiten. Ich dachte, du schaffst das allein. Es hat mich ganz schön Überwindung gekostet diesen Zauber zu werfen. Was wäre, wenn ich sie verfehlt hätte? Dann hätten sie mich getötet.“
    „Hast du aber nicht und das ist alles was zählt“, sagte der Held knapp.
    Er beugte sich zur übel zugerichteten Leiche hinunter und durchsuchte sie. Er fand ein Amulett mit einem Beliarsymbol darauf. Es verstärkte die Geschicklichkeit ordentlich. Leider war keine der Teer- oder Sprenggefäße mehr übrig. Über diese Krüge wollte der Held mit Samuel reden. Bisher hatten sie etwas Ähnliches bei den Kanonenkugeln eingesetzt, doch im direkten Bodenkampf hatte der Held es noch nicht gesehen. Er nahm ihr auch noch den guten Armeebogen und zwei Dutzend vergiftete Pfeile ab. Dann ging er zur anderen Frau, diejenige, welche ihn mit der Kontrolle immobilisiert hatte. Auch sie hatte ein Beliar geweihtes Amulett dabei, welches aber ihre Magie verstärkt hatte. Auch sie trug einen Bogen und noch etwa zehn vergiftete Pfeile mit, aber auch zwei schwarze Magiekristalle. Einer beinhaltete sicher den Kontrollzauber. Was der andere enthielt konnte der Held nicht sagen.
    „Du hast mir das Leben gerettet. Möchtest du etwas von dem Zeug? Vielleicht das magische Amulett, oder die Zauber?“ fragte der Held Alejandro.
    Der Junge riss erschrocken die Augen auf, schüttelte eilig den Kopf und hob abwehrend die Hände.
    „Nein, bloß nicht. Diese Sachen sind Beliar geweiht. Damit möchte ich nichts zu tun haben.“
    „Verstehe“, sagte der Held und steckte alles ein.
    „Was sollen wir denn jetzt tun?“ fragte Alejandro mit verzweifelter Stimme.
    „Zurück nach Eisenbach gehen. Wir haben doch noch einen Auftrag zu erfüllen“, sagte der Held, so als wenn er nicht gerade beinahe von zwei Attentäterinnen getötet worden wäre.
    Alejandro seufzte und lief seinem Entertruppführer nach.

    „Tot? Was soll ich denn mit toten Vögeln anfangen? Ich wollte sie lebend“, sagte der Hobbyornithologe ungehalten, als der Held ihm die zwei toten Vögel auf den Tisch seines Hauses klatschte.
    Das Haus war zwar nicht groß, aber aufwendig eingerichtet. Es gab viele Tische, Schaukästen mit aufgespießten Schmetterlingen und gepressten Pflanzen. In einer Ecke befand sich ein Glaskasten mit Wasser, in dem ein großer grüner Frosch saß. Überall um sie herum befanden sich eingetopfte Pflanzen, so dass das Wohnzimmer ein bisschen wie ein kleiner Dschungel wirkte.
    „Das hast du nicht gesagt und wie hätte ich die denn lebend fangen sollen?“ fragte der Held.
    „Keine Ahnung, das ist dein Problem. Wenn ich gewusst hätte, wie ich die Vögel lebend fangen sollte, hätte ich es selbst getan“, sagte der Mann ungehalten.
    Der Held schnaufte genervt. Er hatte im Moment wirklich keine Lust auf so etwas und er bereute diesen kleinen Auftrag überhaupt angenommen zu haben. Allerdings hatte die Jagd nach den Vögeln auch Alejandros Zielgenauigkeit gefestigt und vielleicht hatte er nur deswegen die Attentäterin treffen können. Positiv gesehen war der Auftrag also nicht völlig umsonst gewesen. Dennoch ärgerte sich der Held über die Undankbarkeit seines Auftraggebers.
    „Immerhin kannst du die Vögel so auch untersuchen.“
    „Ihr Äußeres schon, aber nicht ihr Verhalten, gerade das wäre aber so wichtig. Im Dschungel ist es schwer sie zu beobachten, weil sie so schnell herumfliegen und so weit weg sind. Da sehe ich sie kaum. Und wenn ich mich zu nah heranwage fliegen sie natürlich weg.“
    „Nicht mein Problem“, meinte der Held.
    Sein Auftraggeber sah wohl ein, dass dieses Gespräch zu nichts führte.
    „Na gut, da du mir trotzdem zwei Elfenblauvögel gebracht hast, sollst du auch was bekommen.“
    „Oh, sind das wirklich zwei von der gleichen Art?“ mischte sich Alejandro neugierig ein. „Ist es so, dass das eine noch heranwächst und deshalb ein anderes Gefieder hat?“
    Der Mann runzelte die Stirn und antwortete: „Nein, das dunkelblaue ist das Männchen und das hellblaue ist das Weibchen. Deswegen sind sie unterschiedlich.“
    An den Helden gewandt sagte er: „Du hast einen eifrigen Lehrling, seinen Wissensdurst solltest du weiter unterstützen, trotzdem würde ich es sehr schätzen, wenn er mir nicht so dreist reinredet. Das gehört sich nicht.“
    Alejandro wurde rot im Gesicht, doch der Held ging gar nicht auf die Worte des Bürgers ein, sondern fragte: „Was ist jetzt mit der Belohnung?“
    „Ah ja.“
    Der Mann holte einen Goldbeutel hervor und warf ihm dem Helden zu, der ihn kurz durchsah. Hundert Goldstücke befanden sich darin. Fünfzig pro Vogel. Finanziell hatte sich dieser Auftrag wirklich nicht gelohnt, was aber gemessen an der Art des Auftrags auch nicht zu erwarten gewesen war.
    „Viel Erfolg bei deinen Studien“, sagte der Held knapp, was als Abschied gedacht war und ging aus dem Haus.
    Alejandro warf noch einen Blick auf die beiden toten Vögel auf dem Tisch und folgte ihm dann.
    „Was jetzt?“ fragte er den Helden, als er zu ihm aufgeschlossen hatte.
    „Wir gehen zurück zur Taverne.“
    Dort angekommen stach ihm etwas ins Auge was heute anders war. Er blieb stehen, wandte sich um und trat einige Schritte näher. Am Anschlagsbrett hingen zwei neue Steckbriefe von ihm und Greg. Diesmal erkannte der Held sich sofort, weil das Bild besser gezeichnet war. Unter dem Bild stand: „Gefährlichstes Mitglied von Käpt’n Gregs gefürchteter Piratencrew. Gesucht wegen schwerster Vergehen. Bei Auslieferung dieses Mannes an das adlokanische Militär winkt eine Belohnung von Achtunddreißigtausend Goldstücken.“
    Der Held runzelte die Stirn. Er hielt das für etwas überzogen. Doch dann dachte er an die gesprengte Paladinfestung und den Diebstahl des Reichsapfels und konnte verstehen warum Königin Leandra so eine hohe Belohnung ausgesetzt hatte. Bei so viel Gold würde es sicher viele Glücksritter geben, die ihn aufspüren und ergreifen wollten. Er vermutete, dass die beiden Frauen ihn wegen diesem oder dem anderen Steckbrief angegriffen hatten. Dem Helden kam ein Gedanke und er las sich den kurzen Text des Steckbriefes noch einmal durch. Genau genommen stand da nicht, ob er lebendig oder tot an das adlokanische Militär übergeben werden sollte. Es war wohl egal.
    Nun wanderten die Augen des Helden auf Gregs Steckbrief. Der Piratenkapitän war ebenfalls gut getroffen. Vermutlich hatte ihn jemand gezeichnet, der ihn selbst gesehen hatte und nicht nur eine Beschreibung erhalten hatte. Auf seinem Steckbrief stand ein ähnlicher Text: „Käpt’n Greg, Piratenkapitän. Gesucht wegen schwerster Vergehen. Bei Auslieferung dieses Mannes an das adlokanische Militär gibt es eine Belohnung von Zwanzigtausend Goldstücken.“
    Nun nahm der Held die beiden Kopfgeldzettel vom Anschlagsbrett und steckte sie in die Hosentasche. Da er sie bei seinem letzten Besuch hier noch nicht gesehen hatte, hingen sie wohl noch nicht lange hier. Vielleicht hatten noch nicht so viele Leute einen Blick auf die Steckbriefe geworfen.
    Ohne ein Wort zu sagen, ging der Held hinein. Drinnen saß Ludwig an der Theke und genehmigte sich einen Schluck Wein. Der Held stellte sich neben ihn und sagte: „Komm! Gehen wir zurück zu den anderen. Hier wird es langsam zu heiß.“
    Ludwig sah ihn überrascht an.
    „Wieso? Was ist los? Ist was passiert?“
    „Zwei Frauen im Dschungel haben versucht aus mir ein Nadelkissen zu machen und zwei neue Steckbriefe hingen am Anschlagsbrett“, antwortete der Held knapp.
    „So? Zeig mal her!“ forderte Ludwig.
    Der Held verzog das Gesicht, weil er fand, dass Ludwig sie nur unnötig aufhielt, doch dann holte er die Steckbriefe hervor und zeigte sie seinem Kameraden. Ludwig las sie aufmerksam durch und fragte dann: „Meinst du die hat jemand gesehen?“
    Wie zur Antwort ging die Tür der Taverne auf und eine Soldatengruppe kam herein. Ihr Anführer war ein Mann in einer imposanten glänzenden Paladinrüstung, der einen roten Umhang trug, geziert mit dem Wappen von Adloka, ein silbernes Innosschwert umringt von goldenen Flammen auf rotem Grund.
    „Im Namen von Königin Leandra: Hiermit bist du festgenommen.“
    „Wer ist er nun wieder?“ fragte der Held genervt und kramte umständlich in seiner vollen Hosentasche herum, um die Eiswelle zu finden.
    „Ich bin Michael, oberster Paladin von Adloka und ich verbitte mir diesen Ton. Komm freiwillig mit, oder wir schleifen dich hier raus, wie einen räudigen Hund!“
    „Ja gleich“, sagte der Held kaltschnäuzig, um ihn hinzuhalten, flüsterte Alejandro und Ludwig aber zu, sie sollten sich hinter der Theke in Sicherheit bringen.
    „Welch Unverfrorenheit! Du kommst jetzt sofort mit, oder wir töten dich!“ rief Michael und zog sein prachtvolles Langschwert, das ungewohnt hell schimmerte.
    Gerade noch rechtzeitig sprangen Alejandro und Ludwig hinter die Theke zum bereits dort abgetauchten Wirt, um sich vor der Eiswelle des Helden in Sicherheit zu bringen. Die adlokanischen Soldaten hatten nicht so viel Glück. Mitten im Lauf wurden sie eingefroren.
    „Beeilt euch! Machen wir uns vom Acker, bevor noch mehr Nervensägen hier auftauchen“, rief der Held, damit seine Begleiter wieder auf die Beine kamen.
    Er sah zwei Augenpaare vorsichtig über die Theke lugen.
    „Wie hast du das gemacht?“ fragte Ludwig erstaunt.
    „Eiswelle“, erklärte der Held knapp. „Nun macht schon, der Zauber hält nur kurz an.“
    Während Alejandro und Ludwig sich nun endlich über die Theke schwangen, lief der Held bereits im Dauerlauf aus der Taverne. Er lief in Richtung des Stadttors, das zurück zum Dschungel, den Harpienklippen und der Bucht führte. Eigentlich fand er, dass er nicht besonders schnell lief. Einerseits um nicht zu viel Aufsehen zu erregen, andererseits um seinen Gefährten Gelegenheit zum Aufholen zu geben. Er war gerade in die Straße von Medelgers Schmiede eingebogen, als er einen Trupp Archipelsoldaten vor sich sah. Ihr Anführer war der Hauptmann, der ihn vor einiger Zeit schon mal angehalten hatte.
    „Halt! Im Namen von König Kunibert. Anhalten!“
    „Mann, bin ich heute wieder beliebt“, sagte der Held sarkastisch, dachte aber gar nicht daran dem Befehl Folge zu leisten.
    Er bog in eine Nebenstraße ein und Alejandro und Ludwig, hinter denen nun auch Königin Leandras Soldaten her waren, folgten ihm.
    Der Held erreichte nun die Marktstraße und auch von links erschollen nun Befehle. Weitere Stadtwachen marschierten auf den Helden zu. Er blickte sich zum Tor um, nur um festzustellen, dass der schwere Mechanismus, der das große Tor schließen sollte in Gang gesetzt wurde.
    „Beeilt euch! Das Tor schließt sich!“ rief der Held seinen Gefährten zu.
    Die Bogenschützen auf der etwa zwanzig Meter entfernten Stadtmauer hatten ihn bereits im Visier. Zum Glück für den Helden waren sie nicht so fähig, wie die beiden Attentäterinnen im Dschungel. Ihre Schüsse gingen nur in die ungefähre Richtung des Helden. Einige Pfeile waren bereits übers Pflaster vor seinen Füßen geschabt, einige andere steckten nun im Matsch rechts von ihm.
    Alejandro kam endlich hinter ihm aus der Seitenstraße gestürzt, doch Ludwig lag zurück. Hatte er zu tief ins Glas geschaut und nun Probleme mitzuhalten? Einen Moment überlegte der Held ihn einfach zurückzulassen, doch dann entschied er sich dagegen. Stattdessen lief er vor, beachtete die Soldaten, die links und rechts die Treppen der Stadtmauer herunterkamen nicht weiter und trat in den Torbogen hinein, damit ihn die Bogenschützen nicht länger frei anvisieren konnten. Dort nutzte er seine magische Energie um einen neuen Steingolem zu beschwören.
    „Halt das Tor auf!“ befahl der Held.
    Er freute sich, dass der Golem seinem Befehl tatsächlich Folge leistete, denn meist griffen seine Beschwörungen einfach nur an, oder versuchten den Weg zum nächsten Ziel zu finden.
    „Los! Los!“ rief der Held Alejandro und Ludwig zu und winkte sie herbei, damit sie sich beeilten.
    Alejandro rannte nun durch das Tor, das nur noch dank dem Golem offen gehalten wurde und Ludwig schien seine gesamte Leistungskraft in einen Sprint zu legen, um schnellstmöglich aufzuholen.
    „Na los doch! Schießt doch!“ rief der Hauptmann der Stadtwache und der Held hörte auch den Paladin Michael rufen: „Lasst die Piraten nicht entkommen!“
    Endlich war Ludwig durch das Tor geflitzt und der Held trat nun ebenfalls hindurch und wies den Golem an, es ihm gleich zu tun. Kaum hatte der Golem seine Position verlassen, schloss sich das Tor. Doch sie waren noch nicht außer Gefahr. Sie befanden sich nun auf der anderen Seite der Mauer und waren somit erneut ein Ziel für die Bogenschützen. Pfeile sirrten geräuschvoll durch die Luft und die Befehle der Soldaten erschollen laut. Die Piraten machten sich so schnell davon wie sie konnten, doch schon durchbohrte ein Pfeil Ludwigs linken Unterschenkel, so dass er stürzte. Auch den Helden erwischte ein Pfeil im Rücken, doch hinderte ihn das nicht daran weiterzulaufen.
    „Nimm ihn mit und folge mir!“ befahl der Held dem Golem, der Ludwig umstandslos aufnahm, so dass der Mann stöhnte, als eine der harten Steinpranken nach ihm griff und ihn hielt wie ein Kleinkind, das beschützt werden musste.
    Der Golem war langsamer als die Piraten, so dass der Held am Rand des Dschungels stehen bleiben und auf ihn warten musste. Als er zurücksah, konnte er erkennen, dass die Tore nun wieder offen standen und zwei Soldatentrupps aus der Stadt strömten.
    Endlich langte der Golem beim Helden an, der ihn anwies Ludwig loszulassen. Laut schrie dieser auf, als der Held ihm den Pfeil aus dem Bein riss und eine magische Fernheilung durchführte.
    „Hör auf zu jammern! Wir müssen uns beeilen. Durch ihre Rüstungen sind sie langsamer und zumindest die Adlokaner kennen das Gelände bestimmt nicht. Diese Vorteile müssen wir ausnutzen, wenn wir entkommen wollen. Oder wir kämpfen im dichten Dschungel gegen sie, aber das könnte für euch gefährlich werden“, sagte der Held zu Ludwig.
    Alejandro hörte ihn nicht, denn er war bereits voller Angst vorgerannt, den gepflasterten Weg am Bach entlang, der zur Eisenmine führte.
    „Na dann besser abhauen“, sagte Ludwig, der über sein frisch verheiltes Bein strich und es probehalber belastete.
    „Du bleibst hier und hältst die Soldaten so lange wie möglich auf!“ wies der Held seinen Golem an.
    Der Golem brummte und drehte sich dann den auf sie zukommenden Soldaten entgegen. Ludwig und der Held setzten Alejandro nach. Wenns drauf ankam, dann konnte der Junge schnell rennen, das musste der Held ihm lassen. Schon bald hatten sie den Adanosschrein passiert. Wenig später erreichten sie die Eisenmine und tauchten im dichten Dschungel ab.
    Geändert von Eispfötchen (16.04.2024 um 21:50 Uhr)

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    Wieder auf See

    Als der Held, Ludwig und Alejandro am nächsten Morgen zum Schiff zurückkehrten, waren die anderen Piraten eifrig dabei den Palmwein, den Samuel frisch destilliert hatte, einem umfassenden Geschmackstest zu unterziehen.
    „Ihr hängt an Samuels Pullen wie Ferkel an den Zitzen der Sau!“ schimpfte Henry. „Genug gesoffen! Zurück an die Arbeit!“
    Nachdem er den renitenten Francis verprügelt hatte, gehorchte auch der unwillige Teil der Crew, doch da sie so viel hochprozentigen Alkohol getrunken hatten, gestaltete sich die Arbeit äußerst schwierig und Henry musste feststellen, dass sie dem Schiff mehr schadeten als nutzten, so dass er die Piraten, die sich zu sehr hatten gehen lassen vom Schiff zurück an Land trieb, wo sie sich in den Sand fallen ließen, um ihren Rausch auszuschlafen. Die übrigen Piraten fanden es aber ungerecht, dass sie weiter arbeiten sollten, während die anderen schlafen durften und so versprach Henry, dass die Faulpelze eine doppelte Schicht einlegen müssten, sobald sie wieder aufwachten. Der Erkundungstrupp lief an den Betrunkenen, den herumliegenden Arbeitsmaterialien und Werkzeugen vorbei auf die Bucht zu, die nun wieder deutlich mehr Wasser führte. Nicht mehr lang und die Stämme, die sie unter den Kiel geschoben hatten würden nicht mehr ausreichen, um das Schiff zu halten.
    „Sind wir bereit zum Auslaufen?“ fragte der Held den Piratenkapitän, der sichtlich genervt neben der immerhin schon von Seepocken befreiten und zum größten Teil reparierten „Murietta“ stand.
    „Wo büst du denn schon wedder rumgebutschert?“
    „Na, ich sollte doch die Insel erkunden“, rechtfertigte sich der Held und zuckte mit den Schultern.
    „Aver doch nich über eene Woche. Ik heff di un de ännern beiden hier bruukt. Kiek di doch dieset faule Pack an! Freten un supen, anners hebbt de nix in'n kopp.“
    Er zeigte auf seine Mannschaft, von der die eine Hälfte besoffen im Sand lang und schnarchte und die andere Samuel nach noch mehr Alkohol und dem Mittagessen ausfragte.
    „Ich hab was zu essen mitgebracht, wenn das hilft“, sagte der Held, der sich daran erinnerte, dass Greg damals, als sie in der Halbmondbucht gelegen hatten, schon schlecht drauf gewesen war, als er einen einzigen Tag fort gewesen war und daher nun versuchte etwas Positives vorzeigen zu können.
    „Better as nix“, knurrte Greg und schob übel gelaunt nach: „Hest du tominnst wat över de Insel rutfunnen? Wenn nich, will ik di dat nächste Maal nich mehr vun ’t Schipp laten un lever een anner utsennen, de gau wedder torüchkummt.“
    Der Held kratzte sich im Genick und begann dann zu erzählen was sie erlebt hatten, wobei er sich auf das Wesentliche konzentrierte.
    „Wir haben einen Wassermagier und seinen Novizen getroffen, mit deren Hilfe wir dann in die Stadt Eisenbach kamen. Dort habe ich Materialien für zukünftige Reparaturarbeiten gekauft und mir vom Schmied beibringen lassen wie ich diese Sachen selbst herstellen kann, so dass wir nächstes Mal nicht unbedingt eine bewohnte Insel zum Anlanden brauchen. Zumindest, wenn wir alle Rohstoffe da haben.“
    „Un worüm schullen wi unbedingt an en unbewohnten Insel anlanden?“ fragte der Piratenkapitän und sah ihn aus seinem verbliebenen Auge misstrauisch an.
    „Gestern Abend wurde ich von zwei Auftragskillerinnen im Dschungel angegriffen. In der Stadt hatte ich die Steckbriefe, die bei der Taverne hingen zwar immer fleißig abgesammelt, aber gestern sind dann doch einige adlokanischen Soldaten in die Taverne gekommen und wollten mich festnehmen. Die Stadtwache kam dann noch dazu.“
    „Zeig mal de Steckbriefe!“ forderte Greg.
    Der Held händigte sie ihm aus und bemerkte, dass sich immer mehr, der noch nicht stockbesoffnenen Piraten zu ihnen gesellten, um herauszufinden worüber sie sprachen. Greg sah die beiden Steckbriefe finster an und ließ nicht erkennen was er über die höhere Belohnung des Helden dachte. Nachdem er sich die vier Steckbriefe angesehen hatte, reichte er sie an seine übrigen Entertruppführer weiter, die sie wiederum an die anderen Piraten verteilten.
    „Entweder machen die Soldaten von Adloka mit dem Archipelkönigreich gemeinsame Sache, oder sie haben etwaige Streitigkeiten beiseitegeschoben, um uns zu schnappen“, endete der Held seinen Bericht bei Greg.
    „Schlecht für euch beide, aber von uns hängen ja keine Steckbriefe aus“, sagte Rolf und lächelte dabei leicht.
    Greg blickte ihn finster an und sagte: „Wenn’t op’n Käptn pladdert, drüppelt et ook op de Crew.“
    Damit wischte er das leichte Lächeln sofort aus dem Gesicht des ehemaligen Zimmermanns.
    „Greg hat Recht, wir sind jetzt alle gefährdet. Wir können uns wohl nirgends mehr blicken lassen. Mist verdammter…“, schimpfte Skip.
    „Ich vermute uns hängen sowohl die adlokanischen, als auch die archipelsoldaten an den Hacken. Deswegen sollten wir möglichst schnell auslaufen“, erklärte der Held und verschreckte somit einige aus der Crew.
    Greg brummte verstimmt.
    „Dee See bruuckt noch tominnst twee Stünnen bet de Springtide einsetzt. Eerst denn können wi los“, sagte er, wies ihnen aber dennoch allen Arbeit zu, damit alles bereit war, wenn die Springflut einsetzen würde.
    Ludwig und Alejandro waren völlig übermüdet, weil sie die ganze Nacht geklettert und durch den Dschungel gelaufen waren, um so schnell wie möglich hier anzukommen, doch der Piratenkapitän ließ keine Entschuldigung gelten. Er gab seinen Entertruppführern sogar den Befehl alle betrunkenen Piraten wachzuprügeln, oder zumindest aufs Schiff zu schleppen, damit alle an Bord waren. Der Held hatte Glück, dass in seinem Trupp Ragnar noch ansprechbar war, denn zusammen mit ihm schleppte er den kleinen Nils und Kettenklaus ins Wasser, um sie unsanft im Nass aufzuwecken. Schimpfend rappelten sich die beiden endlich auf und konnten unter Stöhnen und Ächzen dazu überredet werden mitzuarbeiten. Der Held ging zurück zur Bucht, um Werkzeuge und Rohstoffe, die noch zu brauchen waren einzusammeln. Durch seine magische Hosentasche ging das schnell. Trotzdem war es hilfreich, dass Samuel und Ludwig ihm halfen, alles aufzuklauben.
    „Eine der Attentäterinnen hatte Tonkrüge dabei in denen sich Teer befand. Nur in einer war etwas das explodiert ist, als es auf den Golem traf. Weißt du was in dem Krug gewesen sein könnte? Bestimmt lässt sich das auch gut für uns nutzen.“
    Samuel runzelte die Stirn.
    „Davon habe ich schon gehört. Es gibt viele Möglichkeiten etwas zum Explodieren zu bringen, wenn Feuer mit im Spiel ist. Oft ist es ein Gemisch aus verschiedenen Substanzen. Schwefelpulver explodiert wenn es mit bestimmten Salzen oder Metallpulvern in Kontakt kommt. Wenn man die Salze und Metallpulver mit Holzmehl, Petroleum, Ölen, oder Fetten zusammenbringt gibt es auch heftige Reaktionen. Ich bin aber kein Spezialist. Ich lerne durch ausprobieren und das ist auf einem Schiff aus Holz schwierig wie du dir denken kannst. Deswegen experimentiere ich nicht gerne damit herum. Von Loid hab ich ein bisschen was gelernt, aber ich will mich auch nicht so sehr vorwagen. Wenn du es genau wissen willst, solltest du einen erfahrenen Alchemisten aufsuchen. Der kennt sich mit Reaktionen verschiedener Stoffe sicher besser aus.“
    „Aber so aus dem Bauchgefühl heraus, was denkst du über diese Sache?“ fragte der Held ihn weiter aus.
    Samuel rieb sich nervös im Genick und antwortete dann: „Ich würde es nicht ausprobieren wollen. Die Hohlkanonenkugeln in denen wir dieses Zeug reinmischen fliegen schnell und zerbersten erst beim Aufprall und sogar da sind wir immer in Gefahr, dass wir selbst unter einem Unfall leiden müssen. Solches Zeug in Tongefäßen immer mit sich herumzutragen halte ich für äußerst gefährlich. Was ist, wenn es runterfällt und zerschellt? Man sollte sich schon gut damit auskennen, um zu wissen wie man es mischen muss, damit es einen nicht ausversehen selbst in die Luft sprengt. Diese Frau war vermutlich damit vertraut.“
    „Oder kannte vielleicht jemanden, der sich damit auskennt“, sagte Ludwig müde.
    Samuel runzelte die Stirn. Ihm kam wohl ein Verdacht, denn es sah aus, als würde er intensiv nachdenken.
    „Wer waren die eigentlich? Weißt du das? Trugen sie vielleicht irgendwas bei sich, damit man ihre Zugehörigkeit rausfinden kann? Wäre gut zu wissen wer uns da sonst noch verfolgt.“
    „Sie trugen Amulette von Beliar bei sich. Doch ich vermute, es waren einfach irgendwelche Auftragsmörderinnen.“
    „Beschreib doch noch mal wie sie gekämpft haben!“ sagte Samuel plötzlich alarmiert.
    Während der Held weiter Werkzeug einsammelte und in seine magische Hosentasche steckte, erzählte er noch einmal ausführlich vom Kampf gegen die beiden Frauen. Auch wenn er immer noch kein guter Erzähler war, schilderte er den Kampf in allen Einzelheiten, damit sie ein möglichst genaues Bild bekamen.
    Samuel war sehr still geworden. Ludwig pfiff erstaunt.
    „Geschickt und auch noch Magie begabt. Hört sich nach verdammt gefährlichen Kämpferinnen an. Eigentlich fällt mir da nur eine Gruppe von Mörderinnen ein, auf die diese Beschreibung zutrifft…“
    „Die Blutschwestern“, kam ihm Samuel zuvor, doch Ludwig nickte.
    Der Held runzelte die Stirn.
    „Kenne ich nicht. Wer sind die?“
    „Gefährliche und berüchtigte Auftragsmörderinnen“, klärte Samuel auf und Ludwig ergänzte. „Es heißt sie hätten sich von der Gesellschaft zurückgezogen, so ganz weiß ich nicht warum. Aber ich habe gehört, dass sie überaus brutal sein sollen und vor keiner Gräueltat zurückschrecken. Sie sollen angeblich Beliar anbeten und ich habe gehört, dass sie ihm sogar Menschenopfer darbringen.“
    Ludwig sah aus, als würde ihm gerade ein Schauder über den Rücken laufen.
    „Wenn du auf ihrer Todesliste stehst, dann bedeutet das für dich und letztlich auch für uns anderen nichts Gutes“, sagte Samuel ernst und unheilverkündend. „Sie sollen wie Schatten sein. Sie schlagen zu und sind schon wieder weg, bevor man überhaupt versteht was passiert ist. Ich habe gehört, dass sie überall Kontakte haben und einen deswegen überall aufspüren können.“
    „Gut, dass wir die meiste Zeit auf See sind“, sagte Ludwig, der sich voll Unbehagen schüttelte.
    „Hefft ihr genug palavert?“ wehte Gregs strenge Stimme zu ihnen herüber.
    Sie sahen auf und beeilten sich an Bord zu kommen, denn nun begannen die letzten Vorbereitungen, um die „Murietta“ zurück ins Meer zu bringen. Als die Flut dann endlich kam, erfolgte das umständlichste und schwerste Manöver, das der Held in seinem Leben erlebt hatte. Durch die Springflut bekamen sie eine Handbreit Wasser unter den Kiel, so dass sich die „Murietta“ sanft löste und nun trieb. Da der leichte Wind vom Norden blies, drohte er sie immer wieder an Land zurückzuspülen. Ohne Greg wären sie hier nie weggekommen, so viel stand fest. Durch seine große Erfahrung konnte er sie anleiten, so dass sie sich langsam von der Insel entfernten. Er sagte ihnen wie sie die Segel setzten mussten, um den Wind bestmöglich einzufangen, oder aber von sich wegzuleiten, um Vortrieb zu bekommen. Sie mussten die Segel immer wieder verändern, reffen und neu setzen, damit sie überhaupt auch nur quälend langsam vorankamen. Wieder einmal erstaunte den Helden Gregs Erfahrung. Er berücksichtigte nicht nur den Wind, sondern auch die Form der Bucht, bedachte wie die umliegenden Felsformationen den Wind umleiteten und wie sie ihre Segel ausrichten musste, um voran zu kommen. Durch den reparierten Besanmast hatten sie nun immerhin wieder mehr Möglichkeiten das Schiff voranzubringen.
    Das Mittagessen musste heute ausfallen, denn obwohl sie schon seit Stunden unterwegs waren, hatten sie es gerader erst einmal aus der Bucht herausgeschafft. Nun stand ihnen die gefährliche Fahrt zwischen die Untiefen bevor. Dieser Weg war schon gefährlich gewesen, als sie den Wind auf ihrer Seite hatten. Nun, da sie gegen ihn arbeiten mussten, war die Fahrt eine einzige nervenzerfetzende Plackerei. Die Arbeit erforderte äußerste Konzentration und das Zusammenspiel der arbeitenden Crew. Da einige der Piraten aber immer noch angetrunken waren, ereigneten sich Unfälle und Fehler, die sie hin und wieder weit zurückwarfen. Dann schimpfte Greg so übel wie sonst noch nie, doch plötzlich unterbrach Alejandro sein Wüten, als er aus dem Krähennest rief: „Schiff Steuerbord querab!“
    Alle hielten kurz in ihrer Arbeit inne und schauten bang zu ihm hinauf. Selbst Greg, der immer versuchte vor seinen Männern der Fels in der Brandung zu sein, sah beunruhigt aus. Man hörte die Nervosität seiner Stimme an, als er hinaufrief: „Wat siehst du genau, Stint? Wat för en Shipp is dat?“
    Kurz herrschte Stille. Der Held konnte sich denken, dass Alejandro sich anstrengte um zu erkennen, um was für ein Schiff es sich handelte.
    „Ich … ich weiß nicht genau, aber es sieht so aus wie das, gegen das wir bei unserer Flucht von Adloka gekämpft haben.“
    Raunen und Stöhnen kam von der Mannschaft. Greg fluchte so übel, dass sich der Held nicht weiter gewundert hätte, wenn sich selbst die Balken der „Murietta“ gebogen hätten.
    „Wenn dat wirklich de Läuterfeuer is, denn sünd wi verratzt“, murrte Greg schließlich leiser.
    Er war wohl zu sehr aus sich herausgegangen, denn als ihm klar wurde, was er gerade gesagt hatte, beeilte er sich hinzuzufügen: „Hergehört Männer! Wi mööt nu besünners goot zusammenarbeiten! Keene Fehler mehr! Keene Unfälle! Wi mööt de Meerenge zwischen de Undeep dörföhren, aver genau dort werden se bestimmt op uns warten. Jüst dar schöölt se uns angriepen un vernichten wüllen. Wer Magie beherrscht holtt en paar gode Zauber bereit, de er ihnen entgegenschleudern kann. Lad de Kanonen! Wi bruukt besünners Geschosse, de so veel Chaos verbreiten, dat se beschäftigt sünd un wi entkommen köönt. De Murietta hett weniger Deepgang un is schneller. Wi mööt versööken, den direkten Weg vun de Insel wegtonehmen, so schnell wi könnt, as mööglich mit den Wind. De Läuterfeuer schall wegen ehr Deepgang ümwegen föhren mööt. Dat is uns eenzig Mööglichkeit to entkommen!“
    Der Plan stand also fest. Eine kurze heftige Auseinandersetzung mit der „Läuterfeuer“ und dann schnell weg, über die Untiefen, so dass das feindliche Schiff sie nicht einholen konnte. Die Anspannung in der Luft war so schwer, dass sie die Mannschaft zu erdrücken schien.
    „Alles wird gut Männer! Zusammen schaffen wir es! Denkt nur daran was wir schon alles überlebt haben, da werden wir auch das packen“, sprach der Held ihnen Mut zu.
    Es wirkte tatsächlich motivierend. Der Held glaubte Hoffnung aufflammen zu sehen. Greg nickte dem Helden dankbar zu und widmete sich dann wieder der fordernden Aufgabe die „Murietta“ durch die schwierigen Untiefen zu steuern und genau auf die Hinweise zu achten, die Henry von vorne zu ihm zurückbrüllte.
    Die „Murietta“ musste umständlich kreuzen, um überhaupt voran zu kommen und selbst dann fuhr sie immer wieder am scheinbaren Wind und dann wieder auf maximaler Höhe, so dass viel Zeit verschwendet wurde, wenn sie die Segel umsetzen mussten und kurze Zeit im Wind fuhren, also gar nicht vorankamen und sogar noch ein Stück vom Wind zurückgetrieben wurden, während die „Läuterfeuer“ auf einem Am-Wind-Kurs fuhr und recht gute Fahrt machte. Durch ein Fernglas sah der Piratenkapitän, dass das Schiff sich nun schon fast bei der Meerenge befand. Er konnte sehen, wie die Mannschaft der „Läuterfeuer“ die Segel reffte, um Fahrt herauszunehmen, damit sie nicht am Ziel vorüberfuhren, bevor die „Murietta“ eintraf. Aus irgendeinem Grund schien Greg das zu freuen, der nun sein Fernrohr absetzte und in den Himmel blickte. Der Held sah ebenfalls hinauf. Er sah ein paar Wolken, die gemütlich vor sich dahinzogen, doch ihm fiel nichts weiter auf. Da Greg aber bereits bewiesen hatte, dass er über einen großen Erfahrungsschatz verfügte, vermutete der Held, dass er einen Plan hatte und nun kam auch dem Helden eine Idee. Er beendete das Trimmen des Großsegels und ging rasch zu Samuel und dem danebenstehenden Ragnar, um ihnen seinen Plan vorzustellen. Zuerst guckte der Smutje und Schiffsalchemist skeptisch, doch nach einiger Überzeugungsarbeit des Helden willigte er schließlich in dessen Plan ein.
    „Hoffen wir, dass diese Geschosse wirklich so viel Chaos verbreiten, wie der Käpt’n das im Sinn hat.“
    „Bestimmt“, sagte der Held lächelnd.
    „Ich bin dabei. Wird bestimmt lustig“, sagte Ragnar grinsend.
    Zusammen machten sich die drei daran, den Plan des Helden vorzubereiten.
    Sie näherten sich nun immer weiter der „Läuterfeuer“ und konnten nun bald schon Details erkennen. Das große Schiff sah nicht mehr ganz so prachtvoll aus wie bei ihrem ersten Aufeinandertreffen. Trotz Ausbesserungsmaßnamen waren die Spuren ihrer letzten Angriffe noch zu sehen, was dem Helden sagte, dass die Königin ihre Paladine so schnell wie möglich auf die Jagd nach den Piraten ausgesandt hatte. Die „Läuterfeuer“ wendete nun leicht, so dass sich die zum größten Teil gerefften Segel nun mit Wind von hinten füllten und das große schwere Schiff nach vorne brachte, direkt auf die „Murietta“ zu. Der Held hörte bekannte Stimmen harte Befehle brüllen und wusste, dass der Kampf kurz bevor stand. Auch Greg befahl einen Teil der Crew an die Kanonen, während die anderen sich bereithielten um ihre Arbeiten fortzusetzen und auf jede noch so kleine Kurskorrektur sofort reagieren zu können. Auch die Seepaladine hielten viele Männer bereit. Der Held schätzte die Besatzung auf fast dreihundert Mann. Sollten sie entern hätten sie wohl keine Chance. Soweit durften sie es nicht kommen lassen. Greg befahl eine sanfte Kursänderung, so dass sie nun schräg zur „Läuterfeuer“ fuhren. Damit hatten die Paladine wohl nicht gerechnet. Gebrüllte Befehle, damit sie ihren Kurs angleichen konnten waren zu hören. Der Held verstand die Verwirrung. Eigentlich wäre es noch zu früh, das Schiff zum Angriff auszurichten, doch Merkassas Prototypkanonen hatten bewiesen, dass sie über eine hohe Reichweite verfügten. Der Held richtete seine Kanone aus und als das Kommando vom Piratenkapitän kam, schossen er und die anderen Kanoniere sofort. Trotz der Entfernung traf gut die Hälfte der Vollkugeln die „Läuterfeuer“. Alligator Jacks Kugel hatte den Fockmast in der Mitte durchgebrochen, so dass die Segel und Spiere nun auf die Mannschaft fielen und sie bei ihrer Sicht und dem bevorstehenden Gegenangriff behinderten. Die Vollkugel des Helden hatte tiefer getroffen. Sie war direkt unter dem Klüverbaum eingeschlagen und hatte ein Loch schräg durch das Schiff geschlagen. Da es sich über der Wasseroberfläche befand nahm das Schiff keinen kritischen Schaden, doch würde das Loch die Crew beschäftigt halten. Henry hatte die Reling getroffen und Parviz die Wanten. Der kleine Niels hatte seine Kugel mitten in die Paladine hineingeschossen. Der Held verstand was er vorgehabt hatte. Er hatte nicht das Schiff treffen wollen, sondern die Befehlshaber, damit die Crew führungslos war. Eigentlich kein schlechter Gedanke.
    „Nimm nächstes Mal eine Brandkugel! Ich hab da was vorbereitet“, sagte der Held grinsend und nickte Samuel zu, zum Zeichen das jetzt ihre Geheimwaffe an der Reihe war.
    Samuel nickte grimmig zurück und lud die experimentelle Hohlkugeln in die Kanone, die der Held nun unter viel Kraftaufwand drehte, um die „Läuterfeuer“ erneut ins Visier zu nehmen. Doch bevor sie erneut schießen konnten, kam die Antwort des Seepaladinschiffs. Ihre Kanonen hatten keine so große Reichweite, weswegen ein Teil der Kugeln noch vor ihnen ins Wasser einschlugen, doch drei Kugeln trafen und die hatten es in sich. Eine Kugel durschlug das Schiff der Länge nach, so dass die Erschütterung einen Teil der Crew von den Füßen warf. Die anderen beiden trafen die „Murietta“ gerade noch so, dafür aber unter der Wasserlinie. Doch die Piraten waren vorbereitet. Greg hatte Enrico, Jürgen, Rolf und Mirko in Erwartung solcher Schäden vor der Seeschlacht nach unten geschickt, damit sie Schäden sofort bearbeiten konnten. Ein Blitzstrahl von Parviz schoss auf das Paladinschiff, verfehlte aber sein Ziel, einen Ritter. Nun donnerten die Kanonen der „Murietta“ erneut los. Rauch zog über die Mannschaft, so dass sie zuerst nicht sehen konnten wie viel sie getroffen hatten, doch sie hörten die Schreie. Schreie der Panik, Schreie des absoluten Grauens. Alligator Jack hatte eine Splitterkugel verwendet, so dass der ungerüstete Teil der Mannschaft in der Nähe des Fockmasts stark gelitten hatte. Sie waren nicht imstande ihrer Arbeit nachzugehen, doch ebenso erging es ihren Kameraden in der Mitte, die von der experimentellen Hohlkugel des Helden getroffen wurden waren. Unter der Wucht des Aufpralls war sie am Hauptmast zersplittert und hatte ihren Übelkeit erregenden Inhalt über das Deck ergossen. Auch Ragnars Stinkefischkugel war gut gesetzt, so dass der penetrante Geruch nach in der prallen Sommersonne vergammelten Zombieleichen in einer Armeelatrine nach einer Dünnschisswelle trotz der an ihnen vorbeiziehenden sanften Meeresbriese bis zu ihnen herüberdrang.
    Parviz Kettenkugel traf die Takelage des feindlichen Schiffs und das Großsegel begrub einen Teil der Mannschaft unter sich, so dass sie direkt auf die übel stinkenden Planken gedrückt wurden. Sie konnten sie bis hierher stöhnen und fluchen hören.
    „Ja! Nehmt eine kräftige Nase davon!“ rief der Held feixend hinüber und warf auch noch einen aufgeladenen Feuersturm, der einen Paladin traf, der gerade einen am Boden liegenden Kameraden aufhelfen wollte.
    Schreiend sprang er zurück und nutzte einen Heilzauber, um seine Brandwunden zu verarzten. Nun schlug auch noch die Brandkugel des kleinen Nils auf dem heruntergerissenen Hauptsegel ein und setzte es in Brand. Derart außer Gefecht gesetzt fiel es der Mannschaft der „Läuterfeuer“ nun sichtlich schwer weiter zu kämpfen. Während Samuel nachlud, konnte der Held zwei ihm bekannte Paladine erkennen. Zum einen war da Lord Ignatius von den Rosenbergen, der sie damals in Adloka willkommen geheißen hatte. Sein eleganter roter Mantel bauschte sich über seine vom Stinkefisch bespritzte Paladinrüstung, bevor er abtauchte, um sich auf dem Deck zu übergeben. Michael, oberster Paladin von Königin Leandra schrie, hochrot im Gesicht, wütend Befehle. Kurz sah der Held auch einen alten Feuermagier, der gerade einen schwer verletzten Paladin heilte. Doch weil erneut Kugeln auf der „Murietta“ einschlugen sah er nicht genauer hin. Greg wäre beinahe getroffen wurden. Direkt neben ihm war nun ein großes Loch, durch das ins untere Deck gesehen werden konnte. Eine weitere Kugel hatte die „Murietta“ sogar zur Gänze durchschlagen. Auf dem Piratenschiff schlugen sogar drei Brandkugeln und ein mächtiger Feuerzauber ein, doch da es an hochentzündlichem Brandstoff fehlte, waren die Feuer bald durch ausgeschüttetes Wasser gelöscht.
    „Dat reicht. Weg hier!“ kommandierte Greg.
    Da die Segel der „Murietta“ nun gemessen an den äußeren Bedingungen optimal getrimmt waren und das Schiff damit etwas luvgierig war, schoss sie sich nun selbst in den Wind, als Greg den Griff am Steuer locker ließ. Die „Murietta“ fuhr nun einfach am Paladinschiff vorbei, drehte sich durch das Manöver des Kapitäns nun auf einem Raumschot-Kurs im Wind und entfernte sich rasch von der „Läuterfeuer“, deren Besatzung unter den gegebenen Umständen Schwierigkeiten hatte die noch funktionstüchtigen gerefften Segel wieder zu setzen. Die „Läuterfeuer“ schoss noch ein letztes Mal, doch da sie sich schon entfernt hatten und im ungünstigen Winkel zu ihnen fuhren, erreichte sie nur eine einzige Vollkanonenkugel, die ihren Heckspiegel traf und viel Zerstörung verursachte, aber keinen kritischen Schaden anrichtete. Der Held sprang rasch in die Wanten und half der Mannschaft die Segel zu setzen, um möglichst viel Wind einzufangen. Zunächst machten sie gute Fahrt, doch dann wurden sie langsamer, weil die „Murietta“ in der Seeschlacht hatte leiden müssen. Greg wies Parviz an nach unten zu gehen und seinem Trupp Beine zu machen. Der nickte knapp und eilte sich dann, um nicht noch mehr in Gregs Ansehen zu sinken.
    Beim Blick zurück erkannte der in den Wanten arbeitende Held, dass die „Läuterfeuer“ die Verfolgung aufgenommen hatte. Henry stand wieder vorne am Klüverbaum und brüllte Greg die Feinnavigation nach hinten. Da der Wind die Worte von Henry nach Süden wegriss, konnte der Kapitän ihn nur schlecht verstehen und ließ daher Pirmin am Hauptmast Aufstellung beziehen, damit er den Sachstand laut rufend wiederholen konnte und die Nachricht so sicher beim Piratenkapitän ankam. Das kristallklare Wasser ließ Henry einen guten Blick auf den Boden werfen, so dass er genau weitergeben konnte wie viel Risiko sie eingehen sollten. Erneut erwies sich Gregs Erfahrungsreichtum als unbezahlbar. Er hatte goldrichtig gelegen. Während die „Murietta“ knapp über die Riffe hinwegglitt, wollten die Seepaladine nicht das Risiko eingehen zu stranden. Stück für Stück konnte die „Murietta“ so ihren Vorsprung ausbauen, bis die „Läuterfeuer“ in der untergehenden Sonne nur noch als schwacher Umriss am Horizont auszumachen war.

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Die Vitali-Brüder

    Sie waren in der Nacht nicht besonders gut vorangekommen, da die See und der Wind ruhig gewesen waren. Dennoch war die „Läuterfeuer“ nirgends zu sehen. Vermutlich wollten sie erst ihre Schäden reparieren, bevor sie erneut aufbrachen. Als Paladinschiff sollte es ihnen leicht fallen überall, wo sie es wollten, anzuliegen und Materialien zu bekommen. Vielleicht würden sie sogar Handwerker bezahlen, damit die Arbeiten schneller voran gingen. Oder sie verfolgten sie schon, nur waren sie wegen der Schäden so langsam, dass sie noch nicht zu sehen waren. Ihre eigenen Schäden würden noch lange bearbeitet werden müssen. In der Nacht hatte der Held wieder nicht geschlafen, so wie der Großteil der Crew, um die gefährlichsten Löcher zu stopfen und auszubessern. Zum einen ärgerte sich die Mannschaft darüber erneut Löcher flicken zu müssen, da sie die „Murietta“ ja erst repariert hatten, doch zum anderen freuten sie sich diebisch über ihre waghalsige Flucht.
    „Hast du ihre Gesichter gesehen, als sie von meiner Splitterkanone getroffen wurden?“ fragte Alligator Jack breit grinsend, während er überprüfte, ob die Abdichtung gut getrocknet war.
    „Nein, aber ich hab gesehen wie sie geguckt haben, als der Stinkefisch ihnen um die Ohren flog“, sagte Ragnar und lachte mit seiner tiefen Stimme.
    Skip, Kettenklaus und der kleine Nils stimmten in sein Lachen mit ein.
    „Damit haben sie nicht gerechnet“, gab der kleine Nils seinen Senf dazu, bevor er den Eimer mit Pech, den sie für die Arbeiten benutzt hatten, zurück zu seinem Platz im Lager brachte.
    „Davon werden sie bestimmt noch lange etwas haben. Obwohl Manuel und Miguel damals die Stelle auf der etwas Stinkefisch getropft ist gründlich geputzt haben, riecht man es immer noch leicht und das waren nur ein paar Tropfen“, sagte Skip dämonisch grinsend.
    „Wer?“ fragte Kettenklaus verwundert.
    „Ehemalige Kameraden“, antwortete der Held knapp.
    „Na soweit würde ich nicht gehen“, sagte Bones und verzog missmutig das Gesicht. „Haben doch hauptsächlich gesoffen. Erst als du sie an ein Seil geknotet und bei voller Fahrt ins Meer geschmissen hast, haben sie eingesehen, dass sie auch mal mitarbeiten müssen und nicht nur saufen können.“
    Kettenklaus, der überflüssiges Wasser abschöpfte, riss alarmiert die Augen auf.
    „Sowas hast du gemacht?“
    „Ja, aber das hat sie nicht zum Arbeiten gebracht. Sie haben nur versucht mich umzubringen“, erinnerte der Held Bones daran.
    „Aber nachdem wir die beiden Kielgeholt haben, da haben sie dann angefangen zu arbeiten“, erinnerte sich Alligator Jack, der es damals gewesen war die beiden beim Käpt’n zu melden.
    „Das haben die überlebt?“ fragte Ragnar verwundert.
    „Er hat sie geheilt, sonst wären sie verreckt“, gab Skip bereitwillig Auskunft.
    „Obwohl sie dich töten wollten?“ fragte Ragnar verwundert.
    „Ich hätte sonst nur noch zwei Leute in meinem Trupp gehabt und wir brauchten jemanden, der die Kieljauche aus dem Schiff schöpft und für andere unliebsame Aufgaben.“
    „Hm…“, machte Ragnar da bloß.
    Skip bekam ein breites Grinsen im Gesicht und sagte dann fies: „Die Seepocken, die sich am Schiff festgesetzt hatten, haben ihnen ordentlich die Leiber aufgerissen.“
    „Tja, nun sind die weg und mit ihnen die letzten Fleischfetzen, die sie noch mit der Murietta verbunden haben“, sagte Bones im Tonfall einer Grabesrede.
    „War eh faules Pack“, grummelte Alligator Jack.
    „Faul?“ fragte der kleine Nils, der gerade vom Lager zurückkam. „Ich hätte auch Lust faul zu sein. Gestern war ein anstrengender Tag, dann die ganze Nacht durchgearbeitet und wer weiß was heute kommt.“
    „Du solltest eben weniger saufen, sonst muss dich unser Entertruppführer auch bei voller Fahrt ins Meerwasser tunken, so wie Manuel und Miguel“, scherzte Ragnar derbe.
    „Wer?“ fragte der kleine Nils ratlos und legte den Kopf schief.
    Die anderen anwesenden Piraten lachten laut.
    Sie hörten bis hier herunter ein Rufen aus dem Masttop und waren sofort an Deck, aus Sorge, der Ausguck könnte die Paladine erspäht haben. Sie schauten hoch, konnten aber nur sehen wie Pirmin im Krähennest stand und in Richtung backbord voraus zeigte und laut rief: „Da!“
    Skip stöhnte und schnalzte mit der Zunge.
    „Da? Ja was ist denn da? Henry, hast du keine Einweisung mit dem staubigen Frettchen gemacht?“
    „Hab ich sehr wohl“, knurrte Henry, der an der Reling stand und in die gewiesene Richtung blickte.
    Die anderen stellten sich neben ihn hielten angestrengt nach etwas Ausschau, das Pirmins Interesse geweckt hatte.
    „Da fliegen Möwen, da muss es was geben“, mutmaßte Henry und eilte dann zum Piratenkapitän, um nach einer Kursänderung zu fragen.
    „Disse Richtung is so goot wie jeder annere, schätze ik“, sagte Greg und gab damit Preis, dass sie im Moment wieder einmal ohne festes Ziel unterwegs waren.
    Immerhin hatten sie die Spur der „Hosianna“ längst verloren und den genauen Aufenthaltsort der „Esmeralda“ wussten sie auch nicht. Auf dem neuen Kurs fingen sie nicht ganz so viel Wind ein und näherten sich daher nur langsam. Die Möwen blieben erstaunlich lange im Wasser und in der Luft, bevor das Schiff ihnen zu nahe kam und sie schlussendlich die Flucht ergriffen.
    „Ein Wrack“, stellte Alligator Jack zufrieden fest.
    „Was das Schiff wohl zerstört hat?“ fragte Brandon, der wie die halbe Mannschaft nun aufgeregt an der Reling stand und ins Wasser starrte.
    „Ein Sturm kann es nicht sein. Die See war ruhig“, meinte Henry.
    „Vielleicht ein Seegefecht?“ fragte Alligator Jack.
    „Ja, aber wieso? Verschiedene Königreiche im Kampf? Oder Piraten und ihre Opfer?“ fragte Bones.
    „Aber wenn es eine Seeschlacht war, was ist gesunken? Das Piratenschiff, oder die Opfer?“ fragte Kettenklaus.
    „Vermutlich die Piraten. Wer überfallen wird und sich entscheidet zu kämpfen will ein Piratenschiff auch versenken. Die Piraten wollen dagegen das Schiff möglichst intakt lassen, um es plündern zu können“, erklärte Alligator Jack.
    „Stimmt“, antwortete Kettenklaus, so als fiele es ihm gerade erst wieder ein.
    „Vielleicht war es ja auch ein Seeungeheuer“, sagte Brandon nun bang.
    „Nicht schon wieder irgendeine Mistvieh!“ schimpfte Henry, der zurück an die Reling kam.
    „Ja, der Riesenhai hat mir echt gereicht“, meinte Bones.
    „Na du musstest ja nicht gegen ihn kämpfen“, sagte Alligator Jack rüde.
    „Hat schon gereicht das Vieh beim Angriff zu sehen“, kam es von Bones zurück.
    Sie refften die Segel, um Fahrt herauszunehmen. Sie waren nun so nah, dass sie Details erkennen konnten. Schiffsplanken, einige Rahen, ein Stück vom Fockmast und ein alter Tisch hielten sich noch auf der Wasseroberfläche.
    „Seht mal!“ rief Brandon und zeigte auf den Tisch.
    Dort klammerte sich eine junge Frau fest, im ständigen Kampf gegen die Erschöpfung und dem Ertrinken. Sie trug eine blaue Robe.
    „Wir sind doch auf Schätze aus und nicht hier um Leute aus dem Wasser zu fischen“, grollte Henry.
    „Aber sie ist eine Wassermagierin, es bringt Unglück einem Schiffbrüchigen Wassermagier nicht zu helfen“, sagte Brandon eindringlich.
    „Ach, bei anderen Schiffbrüchigen wäre es egal?“ wagte es Alejandro zu sticheln, bei dem das offenbar einen Nerv traf.
    „Die sind den Göttern bestimmt egal und wenn sie für uns nicht von Wert sind, warum sollten wir ihnen helfen?“ fragte Bones verwundert.
    „Aber Brandon hat Recht“, nickte Alligator Jack seinem Kameraden zu. „Adanos würde es uns übel nehmen, wenn wir der Wassermagierin nicht helfen. Er könnte uns noch einen schlimmen Sturm schicken.“
    „Oder irgendwelche Wassermonster um sich zu rächen“, sagte Brandon und seine Stimme klang furchterfüllt.
    „Goot, dann sünd we uns ja alle einig. Fischt se raus!“ befahl Greg, der ihrem Gespräch wohl zugehört hatte.
    „Aye Aye Käpt’n.“
    Als wäre dies Alligator Jacks Stichwort ging er zur Backbord Harpune und zielte damit auf den Tisch.
    „Was hast du vor?“ fragte Alejandro, der zu ihm geilt war und nun bang über seine Schulter spähte.
    „Na sie auffischen, wie der Käpt‘n befohlen hat“, antwortete der raubeinige Pirat und schoss die Harpune direkt auf den Tisch ab.
    Erschrocken zuckten die Finger der Wassermagierin zurück, als die Harpune nur knapp daneben einschlug. Alligator Jack betätigte den Rückholmechanismus und der Tisch wurde recht schnell zur „Murietta“ gezogen. Zum Ende hin, hob sich das Möbelstück sogar in die Höhe und das Holz knackte unheilverkündend. Die Wassermagierin kreischte, als sie herunterzurutschen drohte. Es war nicht sicher, ob sie wegen dem Adrenalin, der Kälte, der Erschöpfung, oder vor Angst zitterte. Vielleicht war es eine Mischung von allem. Mit sichtlicher Anstrengung klammerte sie sich am mit Wasser vollgesogenen Tisch fest, der sie bestimmt nicht mehr lange an der Oberfläche hätte halten können. Ragnar und der kleine Nils liefen zu Alligator Jack, um ihm dabei zu helfen die seltsame Ladung einzuholen. Der Tisch klemmte nun vorne an der Harpune fest, sah aber nicht so aus, als wenn er der Belastung noch lange standhalten würde.
    „Da hast du ja einen schönen Fisch geangelt“, rief Henry Alligator Jack anerkennend zu.
    Der Angesprochene grinste, zwinkerte ihm zu und streckte seine Hand nach der Wassermagierin aus. Die schaute ihn zuerst unsicher an, verkniff dann vor Anstrengung das Gesicht und streckte ihre Hand nun ebenfalls aus. Da die Entfernung aber zu weit war, konnte sie Alligator Jacks Hand nicht erreichen. Ragnar langte mit seinem langen Arm aus und packte die Wassermagierin grob an ihrer weiten langen Kutte. Sie war azurblau und hatte himmelblaue Nähte, die sich zur übrigen Robe absetzten. Am Saum war ein hellblaues Wellenmuster zu sehen, ansonsten war die Robe schmucklos. Die Wassermagierin atmete angestrengt und zitterte immer noch. Ragnar ließ sie langsam herunter und sie sank ermattet auf die Planken. Die junge Frau wirkte völlig entkräftet. Nur mit Mühe konnte sie ihren Kopf heben. Stehen konnte sie nicht, doch sie versuchte sich in eine halbwegs würdevolle sitzende Position zu bringen. Brandon eilte herbei und reichte ihr eine Flasche mit Wasser, das leicht mit Alkohol versetzt war, damit es nicht faulte. Es war offensichtlich, dass die Frau nicht gierig erscheinen wollte, doch sie konnte nicht verhindern das Wasser schnell hinunterzustürzen. Als sie die Flasche geleert hatte, holte sie tief und erschöpft Atem.
    „Danke, dass ihr mich gerettet habt“, sagte sie mit leiser Stimme.
    „Wat is passiert, wörum is euer Schipp unnergegangen? Hier gift et keene Untiefen. Een Angriff?“ wehte die Stimme des Kapitäns zu ihnen nach vorne.
    Sie schüttelte entschieden den Kopf und holte immer noch tief und angestrengt Atem. Fast alle Piraten standen nun neugierig um sie herum und konnten gar nicht erwarten zu hören was passiert war. Endlich öffnete die Wassermagierin wieder den Mund, um zu sagen: „Es war mitten in der Nacht, als ein schrecklicher Stoß unser Schiff erschütterte. Aus mir unerfindlichen Gründen hat die Wache die Notlage zu spät bemerkt und als ich an Deck war hatte uns das Monster schon fest umschlungen.“
    „Was für ein Monster?“ fragte der Held aufgeregt.
    Sie sah ihn skeptisch an.
    „Ein Riesenkrake. Seine Tentakel hielten unser Schiff fest umschlungen. Die Wachen schlugen mit Äxten und Schwertern unerbittlich auf sie ein, doch das hielt das grausige Getier nicht davon ab unser Schiff zu malträtieren. Es entzieht sich meiner Kenntnis wieso dieses Tier uns angriff. Vielleicht befinden wir uns hier in seinem Revier.“
    „Vielleicht habt ihr es euch mit Adanos verscherzt?“ fragte Ragnar großspurig, was ihm einen finsteren Blick von der Wassermagierin einbrachte.
    „Mitnichten“, antwortete sie.
    „Adanos hat Nichten?“ fragte Kettenklaus perplex.
    Die Wassermagierin stöhnte und verdrehte die Augen.
    „Bei Adanos wo bin ich denn hier gelandet?“ fragte sie rhetorisch.
    „Auf einem Piratenschiff“, antwortete der Held frei heraus.
    Als sie das hörte riss sie die Augen auf und stöhnte erneut.
    „Auch das noch. Der Tag hätte nicht schlimmer werden können.“
    „He, immerhin haben wir dich aus dem Wasser gefischt. Wenn‘s dir nicht gefällt, können wir dich auch wie einen Backfisch zurückwerfen“, raunzte Bones sie an.
    „Nein! Das macht ihr nicht! Das würde Adanos bestimmt zornig stimmen. Ich sag euch, das bringt Unglück!“, sagte Brandon sofort und stellte sich schützend vor die Wassermagierin.
    „Wi smieten ehr nich trügg!“ stellte Greg klar.
    Er hatte das Steuer an Morgan übergeben und trat nun heran, um sich die Wassermagierin aus der Nähe anzusehen.
    „Wat is na‘n Angreep passeert?“ fragte er weiter nach.
    Die Wassermagierin redete nicht sofort, vielleicht brauchte sie Zeit, um erneut durchzuatmen, oder um Gregs Worte zu entschlüsseln.
    „Eine ganze Nacht und fast einen ganzen Tag trieb ich im Wasser. Auch einige andere konnten sich retten, doch sie verließ die Kraft und sie versanken im Meer. Meine Gebete zu Adanos haben mich gerettet. Er gab mir die Kraft mich an der Wasseroberfläche zu halten. Er stand mir bei und wachte über mich. Adanos sei Dank.“
    Greg nickte und sagte dann: „Goot. Hebbt ihr wertvolle Fracht an Boord?“
    Die Wassermagierin schnaubte und fragte abschätzig: „Ist das alles was euch interessiert? Ob Schätze an Bord waren, die ihr euch aneignen könnt? Die Horizont war ein Expeditionsschiff. Was erwartet ihr da für Wertsachen? Außerdem ist es müßig darüber nachzudenken, da sich das Schiff fürderhin auf dem Meeresgrund befindet. Auch wenn das Meer im Archipelkönigreich nicht so tief ist wie anderswo, so sind es sicher fast dreißig Meter bis zum Grund.“
    Greg wandte sich um und befahl: „Stint, du un dien Entertruppführer, ihr wannelt euch wedder in Lurker un söcht den Seeboden na Schätzen af!“
    „Ich habe keine Spruchrollen und Tränke zur Lurkerverwandlung mehr, nur noch den Druidenstein“, informierte der Held und holte den Druidenstein der Lurkerverwandlung hervor.
    „Un dat heißt?“ fragte der Piratenkapitän nach.
    „Das nur einer sich verwandeln kann. Entweder ich, oder Alejandro.“
    „Du!“, sagte Alejandro sofort, der die Augen aufgerissen hatte. „Ich hab noch nie einen Druidenstein verwendet und weiß gar nicht, ob ich das kann. Das ist was anderes als Spruchrollen, oder Tränke.“
    Der Held zuckte mit den Schultern.
    „Wenn du meinst.“
    „Außerdem möchte ich da nicht allein unten herumschwimmen.“
    „Ja, wer weiß, ob der Kraken noch irgendwo da unten lauert“, sagte Skip grinsend und löste damit ein Schaudern bei der Crew aus.
    „Als Lurker werde ich mich bestimmt vor dem Kraken verstecken können, aber Skip hat Recht. Vielleicht ist das Vieh noch irgendwo da unten. Sollen wir wirklich hier bleiben?“ fragte der Held.
    „Wenn dat Veeh vör twee Daag hier weer, is dat nich wahrschienlich, dat dat ümmer noch direkt ünner den Kiel luurt. Ik laat mi düsse Gelegenheit an Goold to kamen nich weggahn, oder mutt ik euch dran erinnern, dat wi kaum noch Knöppe an‘ Mantel habn?“
    Die Piraten seufzten und ließen den Kopf hängen. Sie daran zu erinnern war nicht gerade förderlich für die Moral der Truppe, doch hoffte Greg wohl ihre Angst vor dem Kraken so zumindest zeitweise zähmen zu können.
    „Henry, du un Brandon, ihr bringt de Watermagierin ünner de Deek, so dat se slapen kann. Passt op, dat sik keener en Spaaß mit ehr erlaubt. Un ihr ännern gaht sofort trügg an de Arbeit!“ befahl der Piratenkapitän.
    „Gut, dann schwimm ich mal los“, sagte der Held, trat zurück und verwandelte sich in einen Myrtanischen Lurker.
    Verwundert sah die Wassermagierin ihm dabei zu. Sie hatte wohl nicht damit gerechnet, jemandem auf einem Piratenschiff zu begegnen, der sich in ein Tier verwandeln konnte.
    Kurz orientierte sich der Held an seinem neuen Körper, gab noch ein Glucksen von sich und kletterte dann über die Reling, um ins Wasser zu springen. Es platschte laut und er war untergetaucht.
    Das Wasser war angenehm warm und herrlich klar. Bereits von hier oben konnte er auf den Grund sehen und dort lag auch das Wrack der „Horizont“. Es fiel dem Helden leicht mit seinem schlanken Lurkerkörper hinunter zu schwimmen. Der Meeresgrund sah auffällig leer aus. Keine Korallen, keine Pflanzen und nur wenige Fische schwammen umher. Dafür gab es eine große Kolonie Seeigel. Der Held fragte sich, ob man die essen konnte. Er schwamm näher heran, um sie sich anzusehen. Sie sahen aus wie kleine Stachelbälle und er wusste nicht wo er hätte ansetzen sollen, um sie aufzusammeln. Er versuchte einen zu greifen, doch stach er sich dabei in die schmale Lurkerhand. Ein zischender Laut entfuhr ihm und er zog die Hand zurück. Sie pochte schmerzhaft. Der Held wusste nicht, ob Seeigel giftig waren, doch er vermutete es, denn sonst sollte so ein kleiner Stich nicht so schmerzen. Vielleicht gaben sie ja brauchbare Waffen ab?
    Er wandte sich im Wasser schwungvoll herum und steuerte nun auf das Schiffswrack zu. Er hielt auch die Augen nach Gefahren offen, doch rundherum hatte er eine weite Sicht und nichts deutete auf einen Kraken, oder auch nur herumschwimmenden Haien hin. Die „Horizon“ war nicht ganz zwanzig Meter lang und lag übel zugerichtet im hellen Sand. Obwohl er fast dreißig Meter tief unter der Wasseroberfläche war konnte er gut sehen. Das klare Wasser war kaum ein Hindernis für die Sonnenstrahlen. Dem Helden gefiel die Umgebung. Es war hell, warm und das Wasser trug ihn, so dass seine Bewegungen müheloser waren und er schnell vorankam. Er setzte auf dem Grund auf und wirbelte dabei Sediment hoch. Er sah unter einem Stück Planken nach, die etwas verdeckten, doch es handelte sich nur um einen Waschzuber. Er schwamm weiter und wühlte zwischen Holz und sanft im Wasser wiegenden weißen Segeln. Weil er wusste, wenn es etwas Wertvolles auf dem Schiff gegeben hatte, würde es sich bestimmt im Lagerraum, oder in der Kapitänskajüte befinden, suchte er dort zuerst. So fand er ein unbrauchbar gewordenes Logbuch, einen Sextanten, eine Bootsmannpfeife, ein beschädigtes Fernglas und einen mit Unterlagen gefüllten zerborstenen alten Schreibtisch aus Massivholz. Immerhin fand er eine kleine Kiste, die wohl das ausstehende Lohngeld der Seeleute enthielt. Der Held durchkämmte das Schiffswrack weiter. Im Lagerraum fand er Vorräte. Teilweise waren die Kisten aufgebrochen und Meerestiere hatten sich über den Inhalt hergemacht. Für den Helden war die durchnässte Nahrung unbrauchbar geworden. Er fand auch einen Alchemietisch und allerhand zerbrochenes Glas, das anzeigte, dass hier regelmäßig Tränke hergestellt wurden. Er schwamm und kramte zwischen den Trümmern weiter, doch konnte er nichts Interessantes mehr entdecken. Die Wassermagierin hatte die Wahrheit gesprochen. Es hatte sich hauptsächlich um ein praktisches Schiff gehandelt, ohne Tand, ohne Schätze. Enttäuscht stieß sich der Held vom Meeresboden ab und paddelte, die kleine Kiste an die Seite geklemmt, zur Wasseroberfläche zurück. Dort angekommen schwamm er das letzte Stück zur „Murietta“ zurück, denn das Schiff war leicht abgetrieben, da sie aufgrund des nur sehr schwachen Windes darauf verzichtet hatten einen Anker zu werfen. Es war nicht einfach an Bord zu klettern, während er die kleine Kiste trug, doch der Held zog es ohne zu murren durch.
    „Und? Was hast du gefunden?“ fragte Skip, kaum, dass er zurück an Bord war.
    Der Held schüttelte sich notdürftig das Wasser vom Leib, stellte die Kiste ab und verwandelte sich dann zurück.
    „Nur diese kleine Kiste. Besser als nichts, schätze ich. War nicht viel zu holen.“
    Alligator Jack kniete sich hinunter und öffnete die nasse kleine Kiste.
    „Gold. Immerhin.“
    Er wollte ein Goldstück herausholen, um es sich anzusehen, doch hörte er gleich Gregs schnarrende Stimme hinter sich: „Du laat de Wörstfingers dar vun! Dat Gold bruukt wi för den nächsten Haven.“
    „Aber uns steht mal wieder Lohn zu“, entgegnete Alligator Jack gnatzig.
    „Allens to sien Tiet“, sagte Greg, beugte sich hinunter, schlug die Kiste zu und trug sie in seine Kapitänskajüte.
    Die Crew murrte, wagte aber nicht aufzubegehren.
    „Schiff voraus!“ wehte Pirmins Stimme vom Ausguck herunter, woraufhin Henry etwas selbstgefällig zu Skip sagte: „Siehst du, ich hab ihm gesagt was seine Aufgaben im Ausguck sind.“
    Daraufhin knurrte Skip nur, ohne etwas dazu zu sagen. Das Schiff, das in ihre Richtung fuhr, war seltsam anzusehen. Es war nur knapp fünfzehn Meter lang, hatte aber dennoch drei Masten, die recht nah aneinander standen und drei Klüversegel. Die Brücke mit dem Steuerrad war ein großer Aufbau. Die sechs Segel waren weiß und auf dem Masttop wehte die Fahne des Königreichs Rasokat, ein gekrönter weißer Ritter mit Schild und drei Schwertern. Das Schiff hätte schlicht ausgesehen wäre da nicht die recht hübsche Gallionsfigur in Form eines zweiköpfigen geflügelten Löwen. Jeweils eine dieser Skulpturen stand auch auf der Brücke an der Reling, gleich neben den Klampen für die Besansegel.
    „Was woll’n die denn?“ fragte Ragnar laut.
    „Hm…“, machte Greg und ging langsam zum Steuerruder zurück, das ihm Morgan bereitwillig überließ. „Entwedder hebbt se en Probleem, oder wüllen Hanneln, oder dat sünd ok Piraten, de denkt, dat se uns kapern köönt.“
    Die Crew lachte schallend. Warum war schnell klar. Das andere Schiff war deutlich kleiner und hatte noch nicht einmal Kanonen.
    „Na, denen wüllt wi gliek en schöön Överraschung maken.“, sagte Greg gut gelaunt.
    Die Aussicht noch mehr Schätze in die Finger zu kriegen bescherte ihm überaus gute Laune. Als das Schiff so nah war, dass sie den Namen lesen konnten, „Geflügelter Löwe“, gab Greg den Befehl ihre Flagge auszutauschen. Gehorsam holte Pirmin König Fions Flagge ein, eine goldene Sonne auf orangerotem Grund und hisste die von Greg, ein Totenkopf im Profil über zwei gekreuzten Schwertern.
    Voller Vorfreude bereiteten die Piraten alles für den Angriff vor und sahen erwartungsvoll zum anderen Schiff hinüber. Sie lachten, als sich die Vermutung ihres Kapitäns bewahrheitete. Auch ein Matrose im Krähennest des anderen Schiffes wechselte nun die Flagge zu einem zweiköpfigen geflügelten Löwen.
    „Kenn ik nich“, kommentierte Greg und gab Befehl weiter auf das Schiff zuzuhalten.
    Sie waren nicht wirklich überrascht, als die anderen Piraten die Segel strichen. Greg und seine Crew blieben jedoch misstrauisch. Es war schon einige Zeit her, seitdem ein anderes Piratenschiff sich ihnen so bereitwillig ergab, doch der „Geflügelte Löwe“ fuhr sogar noch langsam weiter auf sie zu und eine kräftige fast schon fröhliche Stimme wehte zu ihnen herüber.
    „Moin Kollegen.“
    Die Piraten staunten nicht schlecht, als sie den Kapitän des anderen Piratenschiffes am Steuerruder sahen, denn genau genommen hatte das Schiff nicht einen, sondern zwei Kapitäne, die beiden Männer waren nämlich an der Hüfte zusammengewachsen.
    „Verdammich nochemal, dat kümmt just nich jeden dag vör“, brummte Greg fassungslos und schaute, ob er sich vielleicht verguckt hatte, aber nein, ihm winkten da wirklich zwei Männer mit ihren Kapitänshüten zu, die sich nicht voneinander trennen konnten.
    Dem Wesen der beiden schien das nicht im Mindesten zu schaden. Froh und munter sahen sie zu ihnen herüber und lächelten so breit, dass ihre Schnauzbärte wie Verlängerungen ihres kecken Lächelns wirkten. Der eine Kapitän trug einen roten Dreispitz mit blauer Feder und der anderen einen blauen Dreispitz mit roter Feder. So trug dann auch der eine passend dazu einen roten Mantel und der andere einen blauen.
    „Wir haben die Vögel gesehen und wollten mal nachsehen was es hier gibt“, sagte der linke Piratenkapitän, der den roten Mantel und Dreispitz trug.
    Er führte seinen Säbel wie gewohnt auf der linken Seite, sein Bruder aber auf der rechten, weil es ihm sonst unmöglich gewesen wäre ihn zu ziehen.
    „Hier gifft dat nix för euch. Wi hebbt dat Wrack al durchgeguckt un ausgeräumt un wi geevt euch nix af“, stellte Greg gleich klar.
    „Oh, haben wir wirklich die Ehre auf den legendären Käpt’n Greg gestoßen zu sein?“ fragte der blaue Kapitän schmeichlerisch.
    „Joa, dat is richtig.“
    „Fulminant“, sagte der rote Zwilling und schwang seinen Hut durch die Luft, um ihn dann wieder auf seinen Kopf zu setzen.
    „Freut euch nich to früh. Wi sünd nämlich hier, üm euch eure Schätze aftonehmen“, rief Greg hinüber.
    „Oh, es tut mir Leid dir zu sagen, dass wir derzeit keine Schätze an Bord haben. Wir sind gerade erst ausgelaufen und haben die Reichtümer unserer letzten Fahrt längst verjubelt“, antwortete der blaue Zwilling froh und munter.
    „Dorvan schöölt wi uns sülvs övertügen“, rief Greg zurück.
    „Aber gerne doch. Wir hoffen auch mal euer Schiff besichtigen zu dürfen. Die berühmte und berüchtigte Murietta. Angeblich eins der schnellsten Schiffe der Meere. Ausgerüstet mit unübertroffenen Kanonen, die selbst in Adloka Furcht und Schrecken verbreitet haben. Habt ihr wirklich den Reichsapfel von Königin Leandra gestohlen?“ fragte der rote Bruder aufgeregt und wies seine kleine Mannschaft an die Planke auszulegen, damit Greg und seine Männer zu ihnen herüberkommen konnten.
    Gregs Crew staunte nicht schlecht. Nicht nur, dass die anderen Piraten ihnen mächtig Honig um den Bart schmierten, jetzt luden sie sie auch noch förmlich zu sich aufs Schiff ein. Vielleicht doch irgendeine Art von Falle?
    Das fragte sich wohl auch Käpt’n Greg, denn er befahl Henry, Alligator Jack, Bones, Morgen, den kleinen Nils, Ragnar und den Helden an seine Seite. Es waren seine besten Kämpfer und er glaubte, dass die Mannschaft des fremden Schiffes keine Chance gegen sie hätte.
    „Joa, dat hebben wi“, antwortete Greg endlich auf die Frage und betrat mit seinen ausgewählten Männern das andere Piratenschiff.
    Es war klein und übersichtlich. Die Crew des Schiffs sah weitaus skeptischer zu den anderen Piraten hin, als ihre Kapitäne. Sie blieben auf ihren Posten und beobachteten jede Bewegung ganz genau. Der Held hielt sie für keine große Bedrohung. Zusammen mit den beiden Kapitänen waren sie nur zu zehnt. Die meisten trugen nicht einmal Rüstungen und die besten Waffen, die er sah waren die beiden Säbel der Kapitäne. Deren Besitzer kamen nun die Treppe der Brücke herunter und stellten sich vor ihre Gästen auf, verbeugten sich, als wären sie bei Hofe eines Königs und nahmen dabei erneut ihre Dreispitze ab, deren Federn lustig durch die Luft schwangen. Als sie sich wieder aufrichteten und ihre Hüte auf die blond gelockten Haare setzten, sagten sie im Chor: „Es ist uns eine Ehre euch an Bord haben zu dürfen. Wir sind die Vitali-Brüder und das ist unsere Crew. Gemeinsam befahren wir seit nun fast zwei Monaten die Meere. Wenn ihr uns bitte folgen wollt, dann führen wir euch durch unser Schiff.“
    Der Held sah zu Ragnar und dem kleinen Nils und war etwas überrascht, dass auch sie ihre Augenbrauen verblüfft gehoben hatten. Also hatten auch sie noch keine Piraten mit solch ausgesuchter Höflichkeit getroffen.
    Die Rundtour durch das Schiff dauerte nicht lang, weil es so klein war. Im Grunde gab es alles was nötig war. Stehendes und laufendes Gut, eine kleine Kombüse, Hängematten für die Crew und eine Kapitänskajüte, doch wie die beiden Brüder bereits sagten, gab es keine Schätze an Bord. Natürlich könnten die auch irgendwo versteckt sein. Der Held hatte das Gefühl, als suche Greg gezielt nach diesen Verstecken, denn überall sah er sich sehr genau um, klopfte auf Holz, oder nahm auffällige Ecken in Augenschein.
    „Een solides Schipp“, kommentierte Greg.
    „Danke“, freuten sich die beiden Brüder über dieses Lob.
    „Dat is aver lütt un ihr hebbt nich mal Kanonen. Vertell mi, wie ihr dat schafft, vun de Konkurrenz nich versenkt to wurrn.“
    „Oh, wenn wir anderen Piraten begegnen, dann erweisen wir ihnen die gleiche Gastfreundschaft wie euch. Wir streichen die Segel und laden sie zu uns an Bord ein. Dann sehen sie sich um. Wenn wir Schätze geladen haben, dann nehmen sie die mit, wenn nicht ziehen sie wieder ab“, sagte der rote Bruder fröhlich.
    Greg blieb stehen, als wäre er gegen den Hauptmast geknallt.
    „Een, de so snackt, bringt sik villicht bald sülvst üm de eck! Dat sünd doch nich all Piraten so friedlich as wi. Wohrschienlich harrt ihr bitlang Glück, aver dat gifft ok Bullerballer, de würrn euch all dootmaken, wenn se keen Ladung finnen.“
    Der blaue Bruder verzog verunsichert das Gesicht. In seiner Mimik war zu lesen, das diese Befürchtung ihn auch schon umgetrieben hatte, doch sein roter Bruder sagte kühn: „Ein gewisses Risiko ist natürlich dabei. Wir hoffen, aggressive Kollegen mit Informationen zu besänftigen, damit sie uns auch zukünftig noch als brauchbar ansehen.“
    „Wat för Informatschionen?“ fragte Greg hellhörig geworden.
    „Nun…äh…“, fing der rote Bruder an zu stottern und sein Zwilling hieb ihm einen Ellenbogen in die Rippen.
    Er seufzte tief und rückte dann mit der Sprache heraus: „Da wir nicht gegen andere Piraten kämpfen, kommen wir eher ins Gespräch und hören so das eine oder andere.“
    „Dat trifft sik goot. Hebbt ihr een Schipp namens Esmeralda sehn?“
    „Esmeralda? Nein, das kennen wir nicht“, antwortete der blaue Bruder.
    „Siet ihr op Ronja un ihre Crew getroffen? Se föhrt op en gestohlenen adlokanischen Hannelsschipp, de „Hosianna“, över de See.“
    „Ja, die haben wir getroffen. Eine kesse Frau“, sagte der rote Bruder und bekam verklärte Augen.
    „Und so charmant“, schwärmte der blaue Bruder.
    „Auf ihre Art und Weise versteht sich“, fügte sein Zwilling hinzu.
    Greg seufzte angesichts dieser Verliebtheit, verdrehte die Augen und murmelte: „Een Haar van‘n Froo treckt mehr as teihn Ossen.“
    Die beiden Brüder sahen ihn nur verwirrt an.
    „In wat för en Richt is se föhrt?“
    „An Rasokat vorbei. Dort kann man als Pirat gut anlegen und seine Vorräte aufstocken, zumindest, wenn man den Kopf unten lässt und ein brauchbares Bordbuch hat, denn auf Vorschriften wird dort sehr geachtet. Durch all die Bürokratie braucht das Gesetz aber auch lang, um zu reagieren und wenn ein Fehler auffällig wird sind die Piraten meist wieder weg.“
    „Hört sik goot an.“
    „Wir hörten, dass ihr auch Magier an Bord habt. Wenn ihr wirklich mal nach Rasokat wollt, dann nutzt besser keine Magie. Magie ist dort verboten, weil das Königshaus sich schon seit Generationen vor einem Sturz durch Magier fürchtet. König Ansgar meint, dass sich Menschen durch Magie zu mächtig fühlen und wenn sie zu mächtig sind, würden sie sich gegen den König stellen. Deswegen werden alle Magier in seinem Königreich verhaftet.“
    „Dat is goot to wissen“, sagte Greg und wechselte dann das Thema: „Aver wenn ihr keene Kanonen hebbt, wie kommt ihr denn an eure Schätze?“
    „Hauptsächlich suchen wir sie. Entweder welche von Kollegen, die ihre an Land verbuddelt haben, oder wir suchen Wracks ab. Wir kaufen Lurker-Verwandlungstränke und die Crew sucht dann in untergegangenen Wracks nach Schätzen, das haben wir uns von euch abgeguckt“, sagte der rote Bruder freiheraus, dessen Augen zu Leuchten begannen, als er dies sagte.
    Greg hob eine Augenbraue, wandte sich dann seiner Crew zu und fragte in die Runde: „Wer hett överall rümsnackt, dat wi versunkene Schätze mit Verwandlungen afsöken?“
    Seine Männer schauten betreten zu Boden und warfen mit Ausreden um sich. Missbilligend schnalzte Greg mit der Zunge. Wären die anderen beiden Kapitäne nicht dabei, hätte er sie vermutlich zusammen gefaltet. Nach ihrem kleinen Plausch verließ Greg mit seinen Männern das fremde Schiff und kehrte zur „Murietta“ zurück. Weil die Vitali-Brüder ihm noch weiterhin Honig um den Bart schmierten, durften sie sich zumindest mal auf dem Deck der „Murietta“ umsehen. Die beiden waren begeistert von dem Schiff und fragten auch die Crew nach ihren Abenteuern aus. Immer wieder warf Gregs Crew ihrem Kapitän unsichere Blicke zu, wohl weil sie ahnten, dass er es nicht begrüßen würde, wenn sie zu viel ausplauderten. Das tat der Begeisterung der Vitali-Brüder aber keinen Abbruch.
    „Ihr seid unsere großen Vorbilder. Als verarmte Adelige hatten wir in Rasokat keine Zukunft, aber als wir von euren Abenteuern gehört haben, wollten wir auch unbedingt Piraten werden. Wir hatten ohnehin schon vor zur See zu fahren. Der „Geflügelte Löwe“ ist ein selbstgebautes Schiff. Die ganze Mannschaft hat lange Zeit daran gewerkelt. Das ist unser Motto: Gemeinsam schaffen wir es. Der Zusammenhalt in unserer Crew ist groß, jeder hat seinen Teil beizutragen und das zeigt sich auch an der Aufteilung der Beute, denn bei uns bekommt jeder den gleichen Anteil.“
    Als Gregs Crew das hörte, grummelten einige, denn bei ihnen sah es ganz anders aus. Nach wie vor erhielt Greg einen viel größeren Anteil. Auch die Entertruppführer erhielten mehr Lohn, als die Piraten in den Trupps. Greg ahnte, dass es gut wäre die beiden Kapitäne nicht allzu lang auf seinem Schiff zu dulden, sonst würden sie die Moral seiner Männer vielleicht noch weiter untergraben. Deswegen sagte er: „Wi hebben noch veel vor. Dat nächste Aventüer wartet schon. Villicht seht wi uns een Dag wedder. Hoffentlich hebbt ihr denn mehr gelaaden.“
    Die Vitali-Brüder grinsten ihn an und kehrten auf ihr Schiff zurück. Sie wiesen ihre Crew an alles für die Weiterfahrt bereit zu machen und hoben zum Abschied noch einmal ihre Kapitänshüte.
    „Was hältst du von denen?“ fragte der Held, als der „Geflügelte Löwe“ sich von ihnen entfernte.
    „Najoa, Narren sünd ook Minschen“, antwortete Greg und ging zu seinem angestammten Platz am Steuerrad zurück.
    Geändert von Eispfötchen (23.04.2024 um 18:19 Uhr)

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    Burgherrin Avatar von Eispfötchen
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    Adanos Augen

    Im Licht der untergehenden Sonne verrichtete der Held die vorerst letzten Arbeiten in den Wanten, dann kletterte er zurück aufs Deck. Er war mittlerweile so geübt, dass ihm selbst die aufrauende See in keiner Weise behinderte. Ein steifer Wind blies und löste den Haarknoten den sich der Held gemacht hatte, weswegen er kurz anhielt und ihn sich neu band, während das Schiff heftig unter den sich auftürmenden Wellen schaukelte. Als der Held wieder alle Haare aus dem Gesichtsfeld bekommen hatte, sah er noch einmal in die Ferne, bevor er den Abstieg fortsetzte. Der abendliche Himmel war herrlich anzusehen. Die Schaumkronen, die sich auf den Wellen bildeten wurden vom Wind teilweise weggeweht, so dass der frische intensive Geruch nach Meer mühelos bis zu ihm hinauf wehte. Der Held atmete diesen Geruch tief ein und nachdem er den Atem einen Moment angehalten hatte, stieß er die Luft geräuschvoll wieder aus. Dieser einzigartige Geruch hatte sich mittlerweile mit dem Gefühl von Freiheit und Abenteuern in seinem Gehirn verbunden. Seine Sorge Myrtana im Stich gelassen zu haben war in den Hintergrund getreten. Er war einfach froh hier zu sein und das wilde Piratenleben genoss er immer noch in vollen Zügen.
    Als er sich dem Deck näherte, hörte er die Wassermagierin aufgeregt reden, aber auch Gregs resolute unverwechselbare Stimme. Zunächst konnte er nur Satzfetzen hören und daher erschloss ihm sich der Inhalt des Gesprächs nicht, doch umso weiter er sich dem Deck näherte, umso klarer verstand er.
    „Diese Expedition ist von allergrößter Wichtigkeit“, sagte die befehlsgewohnte Stimme der Wassermagierin.
    „För di, aver nich för mi“, stellte Greg gleich klar.
    Seiner Stimme war zu entnehmen, dass dieses Gespräch für seinen Geschmack schon viel zu lange dauerte und er solch eine Diskussion auf seinem Schiff nicht duldete.
    „Der versunkene Tempel des alten Volkes birgt ungeahnte Einblicke in die Vergangenheit. Mit den archäologischen Fundstücken und den Informationen, die dieser Tempel birgt, werde ich einen umfassenden Einblick in die Vergangenheit bekommen. Daran könnten dutzende Wassermagier über die nächsten hundert Jahre forschen, um daraus für die Zukunft zu lernen, denn das alte Volk war weit entwickelt. Sie besaßen Techniken, die uns auch heute noch sehr nutzen können. Angeblich besaßen sie weit zurück reichende historische Aufzeichnungen. Denk doch nur an die Möglichkeiten. Auch alle anderen Menschen des Morgrad könnten von diesen Entdeckungen profitieren“, redete die Wassermagierin weiter auf den Piratenkapitän ein, der nicht so aussah, als würde er sich ihr Gerede noch länger anhören wollen.
    „Interessiert mi nich. Ik laat di bi den nächsten Haven vun Boord un nu laat mi in Ruh! Ik heff een Schipp to föhren.“
    „Aber der nächste Hafen liegt im Königreich Rasokat. Magier werden dort verfolgt. Du kannst mich da nicht von Bord lassen“, sagte die Wassermagierin streng, aber auch mit einer Spur Unsicherheit und Angst in der Stimme.
    „Kann ik sehr wohl. De oolt Gebruuk nah bün ik as Kapitän darto verplicht, schippbrööklich Watermagier an Bord to nehmen un darför seker to sorgen, dat se gesund un munter in den nächsten Haven an Land gahn köönt. Dat warrt nix seggt, wat denn mit ihnen passeert.“
    Zorn schüttelte die Wassermagierin und sie sah so aus, als würde sie dem Piratenkapitän gerne so einiges an den Kopf werfen, doch sie besann sich eines Besseren, drehte sich energisch herum und stampfte schwankend zur Treppe und von dort nach links zur Mitte des Schiffes, wohl weil sie das Gefühl hatte dort nicht ganz so sehr zu schwanken. Der Held sah ihr verwundert nach. Nicht viele hätten den Mut aufgebracht so mit Greg zu reden. Er fragte sich, ob sie ihre Situation verkannte. Vielleicht war sie behütet aufgewachsen und konnte sich schlicht nicht vorstellen, dass die Crew ihr etwas antun würde, oder sie war eine so mächtige Magierin, dass sie es sogar mit ihnen allen würde aufnehmen können. Letzteres hoffte der Held, denn vielleicht könnte sie ihm noch einige Zauber beibringen.
    Der Held ging auf sie zu und bemerkte, dass Alejandro, der eigentlich das Deck schrubben sollte, immer wieder zu ihr hinsah. Als er sah, dass sein Entertruppführer ihn ertappt hatte, wurde er rot im Gesicht und wandte sich schleunigst wieder seiner Arbeit zu. Die Wassermagierin saß auf den Planken, damit das Schwanken sie nicht von den Füßen reißen konnte. Angestrengt versuchte sie in einem sehr dicken schweren Buch zu lesen. Bald gab sie ihr Vorhaben aber auf und schlug das Buch zu. Ihr war offenbar nur noch übler geworden.
    „Was liest du da für eine dicke Schwarte?“ fragte der Held neugierig.

    Zuerst sah sie aus als würde sie etwas sagen wollen, doch dann schluckte sie, sah kurz zu Boden, dann nach rechts auf die sich auftürmenden Wellen und wieder zurück zum Boden und hielt ihm schließlich wortlos das Buch hin. Der Held stand trotz des Seegangs da wie festgenagelt und nahm das gewichtige Buch an. Als er die Haupttitelseite aufschlug zuckte er kurz zurück. Noch nie hatte er so einen langen Buchtitel gesehen. Damit überhaupt alles auf eine Seite passte war die Schrift sehr klein. Das war aber nicht das einzige Problem, um den Titel zu entziffern, denn irgendwie waren die Wörter auch ganz seltsam geschrieben. Auf der Haupttitelseite des Buches stand:
    Hochvernünfftig gegründet- und auffgerichtete, in gewisse Classen eingetheilte, bisher verschlossen gelegen, numehr aber Eröffnete Krieges-Schule : Worinnen, nach genau und zuwissen genugsamer, des alten Volkes zu Wasser und Land geführten, mit so viel als lebendigen Farben dargestellten Streit-Methode, zusamt deren vorgezeigten, damals üblichen, Waffen und Rüstungen ; statt ordentlicher allen dessen Unterrichts Begehrenden vor- und auffgegebenen Lectionen, vermittelst kluger und verständlicher Lehr-Art, gewiesen wird, welcher gestalt Generals-Personen, hohe Befehlichshaber, zusamt denen nachgesetzten Obern, in Anricht- Werb- und Musterung einer Armee, Erzielung rechtschaffener, erfahrener Soldaten, durch fleissig und zeitliche Anführung zu denen gewöhnlichen Exercitien, nothdürfftiger derselben Verpflegung, Anstellung einer Schlacht-Ordnung, haltendem Treffen, Belägerungen, Stürmen, wohl anzubringenden Kriegs-Listen etc... geschrieben von Karakalla.
    Der Held fragte sich was das et cetera bedeuten sollte, denn immerhin reichte der Titel schon als Inhalt für einen Kurzroman.
    „Ein Inhaltsverzeichnis hätte es auch getan“, meinte der Held.
    „Das ist auf Seite vier“, gab die Magierin Auskunft, die leicht grün im Gesicht war.
    Der Held hob eine Augenbraue. Sie sah es und erklärte: „Das ist eine Abschrift eines Originalbuches aus der großen Bibliothek der Aquatischen Akademie. Großmeister Karakalla hatte sein ganzes Leben dem alten Volk gewidmet. Wir haben eine große Bibliothek und damit man sich als Lesender besser zurechtfindet, war es erforderlich, dass der Titel möglichst viel vom Inhalt beschreibt.“
    „Kriegshandbuch des alten Volkes hätte es doch aber auch getan“, sagte der Held knurrig.
    Sie verdrehte genervt die Augen.
    „Hätte es nicht“, behauptete sie.
    „Und ich hoffe schwer der Rest des Buches ist nicht so umständlich geschrieben wie der Titel, sonst lernt man wohl nur schwer daraus“, kommentierte der Held.
    „Einige Leute drücken sich eben gewählter aus als Piraten“, sagte die Frau schneidend. „Außerdem hat der Inhalt einige Jahrhunderte überdauert, da verändert sich die Sprache.“
    „So alt sieht das noch gar nicht aus“, fand der Held.
    „Ist es auch nicht. Wie gesagt, es ist eine Abschrift. Ich habe es abgeschrieben, drei Jahre lang. Besonders die Bilder waren sehr aufwendig.“
    „Puh“, kam es vom Helden, dem wirklich besseres einfiel als Jahrelang ein Buch abzuschreiben.
    Wenn’s denn zumindest ein eigenes war, aber dann auch noch eins von fremden Leuten, das gab ihm wirklich Rätsel auf.
    „Wo hast du es jetzt her? Hattest du es etwa die ganze Zeit dabei, als du auf dem Wasser herumtriebst?“
    „Natürlich. Denkst du etwa ich schreibe drei Jahre an diesem Buch und lasse es dann einfach im Meer versinken?“ fragte sie spitz. „Ich hatte es in Öltuch eingeschlagen und hab es immer dabei.“
    „Und warum hast du ausgerechnet dieses hier aus der Akademie mitgenommen? Willst du etwas über das Militär des Alten Volkes wissen?“
    „Das weiß ich durch das Buch schon. Wichtiger ist, dass darin die ungefähre Lage des Kriegstempels beschrieben wird.“
    „Was denn für ein Kriegstempel?“ fragte der Held.
    „Ein untergegangener Tempel des alten Volkes“, antwortete die Wassermagierin.
    Ihre Worte ließen den Helden aufhorchen, denn er dachte an die Wassermagierin Frauke, die ihm aufgetragen hatte das Herz des Meeres zu bringen, das sich in einem versunkenen Tempel befinden sollte.
    „Wo liegt dieser Tempel denn?“ fragte der Held und versuchte beiläufig zu klingen, obwohl er innerlich sehr aufgeregt war.
    „Hier irgendwo im Umkreis von Zweihundertzwanzig Kilometern“, sagte die Wassermagierin. „Eine genauere Beschreibung gab es leider nicht.“
    Der Held knurrte missmutig und blätterte dann zum Inhaltsverzeichnis. Er hoffte, dass im Buch etwas zur Klaue Beliars geschrieben stand, denn immerhin war dies ein Buch über das alte Volk.
    „Was suchst du?“ fragte die Magierin.
    „Waffen.“
    Sie verdrehte die Augen.
    „Hätte ich mir ja denken können. Grober Klotz.“
    „Das ist ein Kriegshandbuch. Was erwartest du?“ fragte der Held genervt.
    Er hatte inzwischen die richtige Seite gefunden und schnell gelesen. Leider war die einzige neue Information, dass die Klaue Beliars aus dem seltenen schwarzen Erz geschmiedet wurde, das häufig in Drachenhorten aufzufinden war. Es gab eine exakte Zeichnung der Klaue und es wurde beschrieben wie sie von Quahodron während eines Krieges erbeutet wurde. Er überflog, wie er die Klaue dann an seinen Sohn weitergab und das Schicksal seinen grausamen Lauf nahm. Doch wenn in diesem Buch darüber berichtet wurde, musste ja irgendwer aus Jharkendar entkommen sein. Mehrmals wurde ausdrücklich darauf hingewiesen wie extrem gefährlich die Waffe war, doch die Worte machten auf den Helden keinen Eindruck. Er war enttäuscht, denn er hatte gehofft Neues zu erfahren. Am besten etwas, das ihm dabei half die Klaue aus der magischen Barriere zu holen.
    „Das kenne ich schon“, sagte der Held und gab der verdutzten Wassermagierin das Buch zurück. „Und du warst auf einer Forschungsreise, um den Tempel zu finden?“
    Sie nickte.
    „Wirst du versuchen ein neues Schiff zu finden, mit dem du erneut losfahren kannst?“ fragte er neugierig.
    Sie schüttelte den Kopf.
    „Warum nicht?“ bohrte er weiter nach.
    Sie seufzte und sagte schließlich: „Mir fehlt es an Gold. Der Rat der Aquatischen Akademie hat mir nur diese eine Gelegenheit gegeben, um diese Expedition durchzuführen. Ich habe versagt. Sie werden mir keine weiteren Mittel bewilligen.“
    „Aber wenn diese Expedition so wichtig ist, wie du gesagt hast…“, stichelte der Held.
    „Natürlich ist es wichtig“, fuhr die Magierin auf, in deren grüne Gesichtsfarbe sich nun auch etwas rot mischte. „Doch der Rat entscheidet sehr akribisch über die Finanzen und Expeditionen mit hohem Gefahrenpotential stehen nicht gerade oben auf der Liste der auszugebenden Mittel.“
    „Verstehe, deswegen hast du versucht Greg zu überzeugen auf die Suche nach dem versunkenen Tempel zu gehen“, schloss der Held.
    Einen Moment war es still.
    „Was gibt es noch in dem Tempel?“ fragte der Held weiter nach.
    Die Wassermagierin seufzte erneut leidend und wiederholte dann noch einmal was sie bereits Greg gesagt hatte, doch auch den Helden überzeugte sie damit nicht.
    „Was ist mit Gold? Bestimmt gibt es doch viel Gold in diesem Tempel“, sagte der Held woraufhin die Magierin skeptisch guckte und fragte: „Wie kommst du darauf? Warum sollte es denn da Gold geben?“
    „In solchen Tempeln gibt es doch fast immer Gold.“
    „Ach ja? Nun… das weiß ich nicht. Ich weiß nichts von irgendwelchem Gold“, sagte die Wassermagierin bekräftigend.
    „Gibt es dort vielleicht mächtige Artefakte? Ich hab von einem Herz des Meeres gehört, dass sich in einem versunkenen Tempel befinden soll. Weißt du, ob es in diesem Kriegstempel ist? Immerhin soll dieses Artefakt die Magie von Wassermagiern ganz erheblich steigern. Kann mir gut vorstellen, dass das für dich von Interesse ist.“
    Der Blick der Wassermagierin, den sie ganz entschieden von ihm abgewendet hatte, sagte dem Helden, dass er sich auf der richtigen Spur befand.
    „Ich habe auch von einem göttlichen Artefakt gehört, dass Adanos Atem genannt wird. Wohl ein Helm, der einen unter Wasser atmen lässt. Vielleicht befindet der sich ebenfalls im Tempel.“
    „Ebenfalls?“ fragte die Wassermagierin und der Held fand, dass sie sich scheinheilig anhörte, so als würde sie bewusst davon ablenken wollen, dass er gemerkt hatte, dass sie etwas verbarg.
    „Ich weiß nicht wo sich Adanos Atem befindet“, sagte sie.
    „Hm…“, machte der Held und entschied das Gespräch weiter voranzubringen. „Mit dieser Einstellung werden wir Greg jedenfalls nicht davon überzeugen zum versunkenen Tempel zu fahren.“
    Die Wassermagierin sah ihn skeptisch an.
    „Wieso wir? Was hättest du denn davon, wenn wir zum Tempel fahren?“
    „In alten Tempeln ist eigentlich immer was zu holen und ein kleines Abenteuer würde mir gut gefallen.“
    Ihre Stirn kräuselte sich.
    „Aber wenn dir nichts einfällt mit dem wir Greg locken können wird das wohl nichts“, sagte er betont dabei das Gespräch zu beenden und wollte gehen.
    „Nein, warte“, rief sie ihm zu und er blieb stehen, drehte sich halb um und fragte: „Ja?“
    Sie saß da, das Gesicht zur Faust geballt und die rechte Hand auf die schwankenden Planken gestützt und stieß gepresst hervor: „Ich weiß nichts von Adanos Atem, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sich Adanos Augen im versunkenen Tempel befinden.“
    Ihrer Stimme war eindeutig zu entnehmen, dass sie es hasste einem Piraten dieses Geheimnis zu verraten, sie aber keine andere Möglichkeit sah, um zum Tempel zu gelangen.
    Der Held kam näher heran, kniete sich neben sie und fragte eindringlich: „Adanos Augen? Was ist das für ein Artefakt?“
    „Ein göttliches Artefakt. Es soll sich um die präziseste Karte des Morgrad handeln, die jemals erschaffen wurde. Sie zeigt nicht nur topografische Inhalte, sondern auch politische.“
    „Was heißt das?“ fragte der Held nach, denn er konnte sich das nicht so recht vorstellen.
    Wieder seufzte die Wassermagierin und ihrem Verhalten war klar anzumerken, dass sie annahm einen Dummen vor sich zu haben. Überdeutlich sagte sie in arrogantem Tonfall und jedes Wort klar und deutlich betonend: „Untiefen. Seewege. Inseln. Alles sehr genau. Aber sie zeigt auch Ländergrenzen und wer derzeit Herrscher eines Königreichs ist. Angeblich soll sie sogar Schiffe anzeigen, deren Namen man kennt.“
    Der Held riss die Augen auf. Wenn stimmte was diese Wassermagierin ihm da sagte, war diese Karte ein überaus mächtiges Artefakt, das sie unbedingt in ihre Finger bekommen sollten. Allerdings bestand auch die Möglichkeit, dass die Wassermagierin log, oder übertrieb, damit sie zum versunkenen Tempel gebracht wurde.
    „Wenn das stimmt, haben wir einen Köder“, sagte der Held und zog die Wassermagierin auf die Füße.
    „He, nicht so grob! Ich bin immerhin eine Wassermagierin! Ich erwarte mehr Respekt.“
    Der Held achtete gar nicht auf sie. Mit ihr im Schlepptau ging er die Treppe zum Steuer und zu Greg hinauf und sagte zum Piratenkapitän: „Ich hab gerade gehört, dass die Wassermagierin einen versunkenen Tempel sucht.“
    Greg fing sofort an zu schimpfen: „Laat mi bloß mit düsse Watermagiern in Ruh! Umso sneller se vun Bord geiht ümso beter. Ik seh sie lever van achtern as van vörn.“
    Die so beleidigte verzog verärgert das Gesicht, doch der Held ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und sagte: „Es soll viele Schätze in diesem versunkenen Tempel geben. Denk nur an das Gold! Berge von Schätzen!"
    "Goold? Wat för Goold?" fragte Greg nach, während er weiter das Steuerrad festhielt.
    Die Wassermagierin sah den Helden bei dieser Behauptung fragend an, aber der zwinkerte ihr bedeutsam zu und sie beeilte sich schnell zu sagen: "Ah ja richtig, DAS Gold. Ja also nach allem was meine Studien mir gezeigt haben, war diese alte Zivilisation sehr reich und mächtig. Materieller Tand ist nur nicht so wichtig für mich, daher hab ich nicht sofort daran gedacht."
    Bei dieser Lüge wurde sie doch recht rot um die Ohren. Der Held hoffte, dass der Kapitän es nicht sah und damit er sie nicht genauer ansah, zog er die Aufmerksamkeit auf sich, indem er sagte: „Außerdem soll sich im Tempel ein göttliches Artefakt befinden. Adanos Augen. Das ist eine Karte, die sogar Schiffe anzeigen soll, deren Namen man kennt.“
    „Wirklich?“ fragte Greg und kniff sein verbliebenes Auge zusammen.
    „Ja, ich habe in der großen Bibliothek der Aquatischen Akademie darüber gelesen“, sagte die Magierin, die immer noch zerknirscht dabei aussah, darüber reden zu müssen.
    „Damit wird es uns sicher leicht fallen die Esmeralda zu finden“, sagte der Held, der seine Aufregung kaum noch verbergen konnte.
    „Un wo soll düsse unnergahn Tempel sein?“ fragte Greg barsch.
    „Das weiß ich leider nicht so genau. Hier in der Nähe irgendwo, aber ich bin mir sicher, wenn wir uns genauer umsehen finden wir ihn“, sagte die Wassermagierin, der die Röte nun deutlich ins Gesicht stand.
    Greg schnaubte verdrießlich, sagte dann aber: „Also goot, ik denke daröver nach.“
    Mehr konnten sie von Greg wohl im Moment nicht verlangen, vor allem, da Skip, der gerade im Ausguck war, rief: „Rasokatisches Handelsschiff steuerbord voraus.“
    „Hotz mit de Motz!“ rief er laut und Henry brüllte laut: „Alle Mann an Deck!“
    Eilig rannten alle auf ihre Posten, während die Wassermagierin sich verwundert umsah. Sie konnte sich wohl denken, dass die Piraten das fremde Schiff angreifen würden, doch wusste sie nicht, was sie deswegen tun sollte. Da sich die „Murietta“ nun auf einem Raumschot-Kurs befand, näherten sie sich dem Handelsschiff sehr schnell, das sich mühsam gegen den Wind kämpfen musste. So wie schon bei der „Geflügelte Löwe“ flatterte hoch oben auf dem Masttop des Handelsschiffes die Fahne von Rasokat, ein gekrönter weißer Ritter mit Schild und drei Schwertern, im abendlichen dunkelblauen Himmel. Schon befahl Greg ihre Piratenflagge zu hissen und kaum hatten sie das getan, brach rege Betriebsamkeit beim fremden Schiff aus. Sie versuchten zu wenden. Das Handelsschiff war eine etwa zwanzig Meter lange recht unscheinbare Kogge. Sie hatte nur einen Mast und ein einziges Segel und war dementsprechend schwerfällig beim Wenden. Kanonen waren keine zu sehen. Den Wind auf ihrer Seite schoss die „Murietta“ geradezu durch die aufgepeitschte See. Die Piraten waren nun nah genug, um den Namen des Schiffes lesen zu können: „Delfin.“
    Praktischerweise lag die „Delfin“ durch ihr Wendemanöver gerade längsseits in der rollenden See, als die „Murietta“ nah genug für die Kanonen war.
    „Feuer!“ befahl Greg und schon donnerten die Kanonen los. Die meisten Kugeln trafen die Kogge. Die überrumpelte Mannschaft rannte voller Panik übers Deck wie geköpfte Hühner.
    „Klar maken to Entern!“ befahl Greg seiner Crew.
    Als sie sich parallel zum Handelsschiff befanden, nutzten Alligator Jack und der Held die Harpunen, um sich an der „Delfin“ zu verankern. Nun konnte ihnen das fremde Schiff nicht mehr entkommen. Voller Vorfreude auf die Schätze und von Kampfeslust getrieben enterten die Piraten das Schiff. Sie forderten die Crew auf sich zu ergeben, doch nun, da der erste Schrecken vorüber war, hatte die Mannschaft Aufstellung bezogen. Wie sich herausstellte, war die „Delfin“ nicht schutzlos. Ein Dutzend Wachen war zum Schutz der Ladung abgestellt wurden. Die Männer trugen einfache Metallrüstungen über hellblauem Stoff. Ihr Kommandant, der nun zum Angriff befahl, führte ein edles Langschwert, die anderen mussten mit Kurzschwertern vorlieb nehmen.
    Aufgeregt stürmte der Held als erster in den Schiffskampf. Begeistert folgten ihm Ragnar, der seine riesige Axt trug und der kleine Nils, der einen furchterregenden Zweihänder schwang. Es wurde ein kurzes aber äußerst brutales Gemetzel aus dem die Piraten siegreich hervorgingen. Vom Blutrausch überwältigt, töteten die Piraten auch den Rest der Crew nachdem die Wachen erledigt waren, so dass von der Besatzung der „Delfin“ keiner überlebte. Greg war das nur Recht. Sie waren schon bekannt genug in diesen Gewässern. Tote Männer erzählten keine Geschichten.
    Stoffe, Gewürze, Salz, Reis, Schnaps, Leder, Tropenholz und Eisenerz lagerten im Laderaum. Greg wies seine Crew an, alles auf die „Murietta“ zu verladen und die „Delfin“ anschließend zu versenken. Als die Piraten mit ihrer schändlichen Arbeit fertig waren, war es schon fast Mitternacht. Während des Mitternachtsmahls wurde ausgelassen gefeiert. Der Alkohol floss in Strömen und jeder schlug sich den Bauch voll. Nur die Wassermagierin wandte sich angewidert ab und zog sich zurück in den Mannschaftsraum in eine Hängematte gleich neben der Treppe, die hinauf aufs Deck führte.

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